Der Geist des Nasredin Effendi
mußte, geriet sie ins Stottern. Um keinen Preis wollte sie ihre wahren Beweggrün de offenbaren. Nie und nimmer hätte sie dann den Kopf bekommen. Also argumentierte sie schwach: »Ich möchte in meinem Labor die Zellstruktur radiometrisch untersuchen, analysieren und… «
»Trau en Sie unseren Spezialisten das nicht zu?« Aber die Frage klang nicht streng, eher so, als mache sich Boderow ein wenig lustig.
»Do ch, doch«, beeilte sich Anora zu versichern. »Nur – ich habe eine größere Abhandlung vor …«
»Eine Dissertation? «
» Jaa«, antwortete sie gedehnt und dachte, daß sie darauf auch hätte selbst kommen können. »Und außerdem, er sieht aus wie…« Sie wollte sagen »unser Gärtner«, dachte daran, wo sie sich befand, ge nierte sich plötzlich wegen ihrer bourgeoisen Herkunft und setzte fort: »… wie ein Bekannter. «
» Soso«, entgegnete Boderow, und er strich über das schlecht rasier te Kinn, daß Anora es raspeln hörte. »Wie ein Bekannter… « er über legte eine Weile, wobei der Daumen nach wie vor scheinbar selbstän dig über die Bartstoppeln fuhr, »wenn es eine Dissertation ist und – äh, ein Bekannter«, er grinste über das ganze Gesicht, »und wir ihn unbeschadet zurückbekommen, sähe ich eine Chance.« Boderow wur de ernst. »Schließlich haben Sie um unsere Archäologie Verdienste. Natürlich kann ich das nicht allein entscheiden. Einsetzen würde ich mich dafür. «
Anora wippte auf die Zehenspitzen und drückte flüchtig ihre Lip pen auf Boderows stachlige Wange. »Danke, Alischer«, flüsterte sie und eilte davon.
Er blieb einen Augenblick verdutzt, verlegen, dann rief er ihr hin terher: » Ich kann mich nicht verbürgen, und es wird auch nicht so fort möglich sein!« Aber sie hörte es nicht mehr.
Anora saß gelöst in einem Sessel, dem einzigen Luxusstück, das sie sich in ihrem sonst zweckdienlich eingerichteten kleinen Laboratori um leistete.
Sie betrachtete zufrieden ihr bisheriges Werk. An zentraler Stelle des Arbeitstisches stand in glasklarem Mumiglobulinbad – wie von einem begabten Künstler in Bronze gegossen – der Kopf des Mannes aus dem Grab in Chiwa.
Die junge Frau dachte in diesem Augenblick nicht daran, wie hart näckig sie auf dem Wunsch, den Kopf für eine Weile zu besitzen, beharrt, wie Boderow gekämpft hatte, ihn ihr schließlich doch zu er füllen. Die brennende Ungeduld war verflogen und die Furcht, das Vorhaben könne mißlingen.
Erschöpft und doch irgendwie glücklich musterte Anora oberfläch lich ihre tagelange Arbeit. Sie wußte das Experiment nach all ihren Fähigkeiten und ihrem Wissen so vorbereitet, daß es gelingen konnte, falls die theoretischen und apparativen Voraussetzungen es zuließen, falls…
»En ttäusche mich ja nicht!« Es klang wie eine Beschwörung. Ano ra war auf gestanden und an den Behälter getreten. Zum wiederhol ten Mal bestätigte sie sich die Ähnlichkeit des Gesichts mit dem O mars, des Gärtners, jenes schwachsinnigen Mannes, der dankbar in der kleinen Familie sein Leben fristete. Dieses Gesicht in der Flüssig keit jedoch drückte alles andere als Schwachsinn aus. Jetzt, nachdem die Runzeln verschwunden waren, ja selbst das verwitterte Haar um den Schädel einen Flor gebildet hatte, war es ein freundliches Ge sicht, eins, zu dem man Vertrauen haben konnte, ein intelligentes, aber auch eins, das im Leben viel gelacht hatte, nicht aufdringlich, mehr leise und verschmitzt.
Nur aus der Nähe ließen sich die über zweihundert Silberdrähtchen erkennen, die aus den Zentren und Knoten des Hirns und dem Bad führten, dann, isoliert und zu einem Kabelbaum verflochten, im Computer verschwanden.
Anora, im Besitz dieses Kopfes, hatte sich nicht gescheut, ihn so zu verwenden und zu behandeln, wie das Experiment es erforderte. Zum einen war sie sich gewiß, und im Gespräch mit Boderow bei der Übergabe des Kopfes hatte ihr jener diese Gewißheit vermittelt, daß die sowjetischen Archäologen die Routineuntersuchungen abge schlossen hatten. Nichts deute auf den Sinn dieser makabren Grab beilage hin. Das Buch war zwar ein äußerst wertvolles Exemplar des Korans, enthielt aber keinen Hinweis auf das konkrete Ereignis und die Identität des Enthaupteten. So blieb zum anderen der Fund zwar interessant, ließ sich jedoch nicht als eine Besonderheit oder ein ver bindendes Glied in die Geschichte des Landes ketten. Was Wunder, daß das Interesse nachließ, zumal der Gruppe Boderow die
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