Der Geist des Nasredin Effendi
Zahnputzglas nicht steril genug sei, stellte vielmehr das Glasröhrchen in den Becher, damit es nicht umfiel, und dann drückte sie unendlich vorsichtig die Substanz aus dem Nadelöhr in die Flüssigkeit. Schweiß rann ihr über Gesicht und Schultern.
Erleichtert richtete Anora sich auf, sah zur Uhr. »Fünfzehn Minu ten«, murmelte sie. Dann löste sie den Rest der Kleidung, stieg unter die Dusche und rekelte sich wohlig unter dem kühlen Naß.
Ohne sich erst abzutrocknen, kontrollierte Anora eine Viertelstun de später den Aufguß. Die Substanz hatte sich in der Flüssigkeit verändert, war aufgequollen, an den Rändern flockig zerfranst, und sie war heller geworden.
Anora packte das Mikroskop, wurde sich der Nässe bewußt, die sie von ihrem Körper auf das Instrument übertrug, und frottierte sich rasch ab.
Sie wurde nervös, als sich die Steckdose dem Kontakt mit der Mik roskopierlampe widersetzte. Es lebe die Standardisierung, dachte sie und schnitt kurz entschlossen den nicht in die Steckdose passenden Stecker von der Lampenschnur, zog die Drähte blank, ertastete den Kontakt und hatte dann endlich Licht.
Wieder mit großer Sorgfalt beschickte Anora den Objektträger, fo kussierte bedächtig. Plötzlich schlug sie mit beiden flachen Händen auf den Tisch, daß Gegenstände sprangen. Erschrocken griff sie nach dem Glas mit der kostbaren Substanz. Dann richtete sie sich straff auf, Freude im Gesicht, streckte die Arme in die Höhe und rief: » Ha!« Hätte es einen Zuschauer gegeben, er hätte annehmen kön nen, die junge Frau, die sich da weit nach Mitternacht, nackt und umgeben von Forschungsgerät, so gebürdete, sei übergeschnappt.
Erneut beugte sich Anora über die Okulare. Das Bild war ausge füllt mit exakt gezeichneten Zellstrukturen, von denen man meinen konnte – und da hatte die junge Frau Erfahrung –, es sei eine Mo mentaufnahme aus einem lebenden Organismus.
Um gänzlich sicher zu sein, nahm Anora noch zwei weitere Pro ben, die jedoch ihren ersten Eindruck exakt bestätigten.
Immer wieder verschob Anora den Objektträger, änderte das Ver größerungsverhältnis. Aber das Ergebnis blieb: totes zwar, aber un zerstörtes, durch das Globulin zu ehemaliger Fülle aufgegangenes Zellgewebe.
Später saß Anora und starrte vor sich hin. Sie fühlte sich müde, aber dieses Gefühl wurde überlagert durch eine Hochstimmung, und ihre Gedanken kreisten um die Hobbyapparatur bei sich zu Hause, und sie spürte den bohrenden Wunsch: Ich muß den Kopf haben!
Zu einem unbestimmten Zeitpunkt erhob sie sich, ließ ihr Instru mentarium unaufgeräumt, wie es lag – nur die Lampe knipste sie aus –, und sank auf das spartanische Bett.
Die Gefährten kamen mit guten Nachrichten. Es war nicht zu be fürchten, daß die Mumien, wandte man die übliche Vorsicht an, Schaden nähmen, wenn sie draußen mit der Atmosphäre in Berüh rung kamen. Ihrem Abtransport stand also nichts im Weg. Das stimmte froh und machte niedergeschlagen zugleich. Es war, als empfände ein jeder in der Gruppe so. Die Stimmung jedenfalls schien gedrückt, als Boderow die Arbeitsgänge aufzählte und sie die güns tigste Variante des Vorgehens diskutierten. Dann verließen sie den Wagen. Anora zögerte, richtete es ein, daß sie bei Boderow blieb, der noch einige Papiere zusammenraffte, die auf dem Tisch verstreut lagen.
Er sah auf. »Traurig?« fragte er.
Sie zog die Augenbrauen hoch.
» Ich meine…«, es schien, als sei er ein wenig verlegen, weil er sie offensichtlich falsch eingeschätzt hatte, »weil es ja nun doch bald zu Ende ist. «
Anora schüttelte den Kopf. »Der Lauf der Welt«, sagte sie. Dann sah sie Boderow voll an und fügte hinzu, und es klang, als hinge eine Welt davon ab: »Alischer, ich will den Kopf! «
Boderow runzelte die Stirn. Der Blick drückte aus, daß er Anoras Forderung für absurd oder für die Einleitung zu einem Scherz hielt. »Was soll sie ohne Kopf?« fragte er entrüstet, aber nicht zu ernst haft.
» Nicht ihren – den Mann will ich! «
» Den Mann, natürlich! Ausgeschlossen! «
» Sagen Sie nicht ›ausgeschlossen‹, Alischer…«, niemals vorher hatte sie den Leiter der Gruppe mit Vornamen angesprochen, nun bereits zum zweitenmal, »nicht sofort. Ich bitte Sie, einen Weg zu suchen – ich gebe ihn doch auch zurück. Nur leihweise… « Si e sprach erregt.
»Ab er wozu in aller Welt brauchen Sie ihn? «
Obwohl Anora natürlich eine solche Frage erwarten
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