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Der Geist des Nasredin Effendi

Der Geist des Nasredin Effendi

Titel: Der Geist des Nasredin Effendi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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dreiste Spatzen beglückte. Als er Anora er blickte, richtete er sich verwundert auf. Die Vögel flatterten einige Meter empört tschilpend zurück. »Sie schon?« fragte er, und es klang ein wenig müde.
     »Ja – machen Sie es gut! War was?« Sie fragte routinehaft. Was sollte schon gewesen sein.
     »Was sollte schon sein… Lassen Sie es sich nicht verdrießen!« Er stieß sich von der Mauer ab, hob zum Gruß die Hand und schlender te stadtwärts.
      Nicht spurlos an dir vorbeigegangen, die letzte Zeit, dachte Anora. Sie wußte wohl, daß Boderow, überhaupt alle der einheimischen Gruppe, ein weit größeres Pensum an Arbeit zu absolvieren hatten als sie selbst. Nicht mit allem konfrontierte man den Gast.
    Anora erklomm einen Mauerrest und spähte ringsum in die Dun kelheit. Einige Nachtvögel flatterten; irgendwo fern ging ein schwe rer Motor. Sein Gedröhn unterstrich die Stille noch. Von der Stadt her schimmerten matt ein paar Lichter, einige Sterne flirrten. Um den Horizont hinter der Stadt zog sich ein fahlvioletter Schein. Wie aus einem Scherenschnitt ragten die islamischen Bauten flächig in den Himmel. In der Nähe gewahrte Anora im gewohnten Bild der Umrisse von Gräbern und Ruinen nichts Beunruhigendes. Sie zuck te zusammen, als in einiger Entfernung ein streunender Hund mit eingezogenem Schwanz scheu vorüberhuschte.
      Die Finsternis brachte kaum Kühle. Der kahle Boden strahlte Hitze ab. Anora begab sich, nun schon mit den Füßen den Weg suchend, zum Aufenthaltswagen, knipste die schwache Birne der Außenleuch te an und ließ aus dem Faß sonnenlauwarmes Wasser über die Wein traube laufen. Dann tastete sie sich zurück, rückte die Matte, die den Eingang zur Grabstätte deckte, zur Seite und stieg vorsichtig ins Finstere. Sie suchte den links stehenden Scheinwerferständer, han gelte nach der Schnur, der Wein behinderte sie, doch dann flammte der grelle Kegel auf. Anora schwenkte das Gerät gegen die Wand, so daß sich Dämmerlicht über den Raum breitete. Sie empfand genieße risch die Kühle des Gewölbes. Anora ließ sich gelöst auf einen Hocker gleiten, spürte, wie ihr Körper auflebte, und sie begann mechanisch Weinbeeren abzuzupfen und genüßlich zu verzehren.
    Später schlug sie die Zeltplanen zur Seite, die, über ein Gerüst ge breitet, die Grabinhalte schützten. Dann rückte sie den Hocker nä her, legte die verschränkten Arme auf den Verschlag, bettete den Kopf darauf und ließ sich in den Anblick der starren Gesichter ver sinken. Sie glitt in eine Art Wachträumen, einen Zustand, den sie förmlich beschwor und der sie schon einige Male vorher in die Zeit der Emire versetzt hatte, der ihr gleichsam eine stumme Zwiesprache wie mit einer Gefährtin bescherte. Anora nahm teil an Szenen des Tagesablaufs, griff aus den Händen der Bediensteten die Schalen mit Speisen, beteiligte sich in der Haremsgruppe an harmlosen Spielen und Späßen, versank, in weiße Gewänder gehüllt, mit den Gefähr tinnen im duftenden Bad, ließ sich tragen von lauwarmem Wasser… Später, des Nachts, zitterte sie mit, welche diesmal die Auserwählte sei, und sie spürte den Schauer, wenn sie sich ausmalte, die Wahl fiele auf sie…
      Oder die hoffende Furcht, wenn jener junge hochgewachsene Offi zier, vielleicht auch ein Prinz, manchmal ein schalkhafter Märchen erzähler, keck in den Park spähte und sie über den leichten Schleier hinweg seinen Blick auffing. Und sie empfand auch den Augenblick, als sie in jener Dämmerstunde, kühn und scheu zugleich, den Schlei er fallen ließ…
      Aber nie glitt Anora so weit ab, daß nicht neben dem Ersponnenen der Forschergeist in ihr wach blieb. Es konnte immerhin sein, daß bei dem, was sie sich, zugegeben, ein wenig romantisch, austräumte, eine wahrscheinliche Vision enthalten war, eine, die die hochgestellte Frau da und ihre merkwürdige Grabbeilage in einen logischen Zu sammenhang stellte.
      Später nahm Anora wahr, daß ihre Fingerkuppen anfingen taub zu werden. Ihre Arme waren eingeschlafen. Als sie sich hochrichtete, wurde sie sich schmerzlich bewußt, daß sie ihren gesamten Körper verlagert hatte. Sie stand auf, reckte sich, berührte mit der Rechten, in der sie noch immer die halbabgezupfte Traube hielt, fast das Ge wölbe. Dann sah sie zur Uhr und stellte überrascht fest, daß auf den Flügeln ihrer Phantasie die Zeit verflogen war. Ihre Wache ging in einer halben Stunde zu Ende.
    Als sie bereits die Zeltplane wieder überbreitete und ihr Blick

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