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Der Geist des Nasredin Effendi

Der Geist des Nasredin Effendi

Titel: Der Geist des Nasredin Effendi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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Teilnah me an einer Expedition in den Sudan ermöglicht wurde.
    Die Dame mit dem durchtrennten Hals, deren Alter man recht ge nau auf etwa fünfhundertfünfzig Jahre festlegte, lag in einem gläser nen Sarg in Buchara im Museum für Alte Geschichte und machte die Besucher schauern, was sicherlich noch gesteigert werden konnte, wenn sich der Kopf wieder zu ihr gesellte, dann, wenn Anora ihn zurückgeben würde. Insgesamt also für den Archäologen, für den Forscher, eigentlich ein unbedeutender Fund, enttäuschte Erwar tung. » Nicht für mich, du!« murmelte Anora und drohte mit dem Zeigefinger zum Kopf hin. Dann gab sie sich einen Ruck, strich sich mit der Linken über Stirn und Augen. Erinnerung und Sentiments fielen von ihr, und sie spürte, wie ein Drang zum Handeln entstand, der unwiderstehlich wuchs, der das Ziel zum Greifen nahe rückte.
      Anora zwang sich zur Ruhe. Noch zögerte sie eine Weile. Dann je doch straffte sie sich, trat an den Computer und vollzog nun ruhig wie in einer studentischen Übung die notwendigen Handgriffe. We nige Kontrolleuchten erglühten, ein feines Summen kam auf, ein leichtes Vibrieren. Man sah es am Gekräusel auf der den Kopf um spülenden Flüssigkeit. Dort, wo die Drähte sie verließen, bildeten sich kleine Dellen wie unter den Beinen von Wasserläufern.
      Anora drückte die Starttaste. Da begann die veraltete Maschine hinter den Schutzscheiben geschäftig Magnetbänder anzurücken, zu stoppen, vor- und zurückzuspulen – begleitet vom Klicken der Re lais. Selten schalteten sich die wenigen peripheren Geräte zu, nur dann, wenn nach Programm Datennebengruppen abgerufen wurden.
    Anora wußte, daß es lange dauern würde, Stunden. Sie bangte ei nen Augenblick, ob die betagte Maschine durchhalten, ob sie bis auf die letzte Abfrage exakt arbeiten würde. Und obgleich nichts eintre ten konnte, was ihrer besonderen Aufmerksamkeit bedurft hätte, be hielt Anora die Geräte im Blick, tastete sich rückwärts zum Sessel und ließ sich hineingleiten. Ungeordnete Gedanken jagten ihr durch den Kopf. Ihre Visionen wechselten von einem Ungeheuer, dessen Daten sich nun Bit um Bit im Innern des Computers türmten, zu einem herrschsüchtigen Emir, was – sie dachte es ironisch – durch aus kein Widerspruch zu sein brauchte.
      Einmal, als ihr Omar, der Gärtner – eine Hauptfigur in ihrem Spiel –, in den Sinn kam, wunderte sie sich über sich selbst, daß sie das, was sie mit ihm vorhatte, so wenig berührte. Weil ich ihm helfet Aber unterbewußt gab es da die zweifelnde Frage, ob sie das wirklich tat. Außerdem gab sie zu, gelänge der Versuch, daß sie eigentlich keinen Plan hatte, wie es weitergehen könnte. Liegt es daran, daß ich im Grunde an einen Erfolg nicht glaube?
      Wieder glitt Anoras Blick über die Apparatur, nahm ihr Bewußt sein das Summen und gelegentliche Klicken auf. Dann zuckte sie mit den Schultern. Es lief alles nach Programm. Und da war auch wieder das Kribbeln, das aber auch Ursprung in einer tiefsitzenden Furcht hatte. Wie weit wird man ein Ergebnis, vorausgesetzt, es gäbe eins, der Öffentlichkeit vorstellen können? Wo liegt ein Nutzen? Und – verliefe alles positiv – wäre das Verfahren nicht ebenso mißbräuch lich anzuwenden, zum Schaden der Menschen?
      Angst, etwas nicht Beherrschbares heraufzubeschwören, kroch in Anora auf. Jetzt, da der Versuch lief, sie nichts anderes tun als untä tig zusehen konnte, der Eifer der Vorbereitung mit den tausend Handgriffen einem tiefen Grübeln gewichen war. Ach was! Der Ausgang ist so ungewiß. Zu entscheiden habe ich dann, wenn fest steht, worüber es etwas zu entscheiden gibt!
    Anora stand auf. Im Augenblick war es ihr tatsächlich gelungen, die unerfreulichen Gedankengänge zu bannen. Sie trat an das Dis play und machte sichtbar, was gerade über den Rechner lief, uner müdlich in ihn eingespeichert wurde. Zeile um Zeile – wie aus einem Lehrbuch über medizinische Datenverarbeitung – liefen die Signale, analog und digital, sauber abgegrenzt, mit eindeutigen Konturen über den Schirm. Aber es gelang Anora, jede euphorische Regung in sich auszuschalten. Sich entschließen, das kleine Labor zu verlassen, konnte sie aber auch nicht. Ein Blick zur Uhr sagte ihr, daß der Vater längst zu Bett gegangen sein mußte. Bei dem Gedanken fiel ihr ein, daß sie nun wieder nicht mit ihm gesprochen hatte. Er würde Omar vermissen. Und was neu entstehen würde, wer weiß…
      Wieder blickte Anora zur Apparatur.

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