Der Geist des Nasredin Effendi
werden konnte. Da lag eine weit größere Gefahr. Freilich, die Methode, ausgefeilt noch, könnte unglücklichen Menschen Hilfe bringen. Aber um wieviel größer war die Gefahr des Mißbrauchs. Würden gewisse Leute zögern, die Gehirnstruktur eines skrupellosen Schlächters einer ganzen Armee aufzuprägen? Für Leute, die mit dem Atomkrieg spielten, war so etwas vergleichsweise harmlos.
Das stürzte Anora in derartige Zweifel, daß davon das Vergnügen, diesen wiedererstandenen Nasreddin auf seinem Weg heimlich zu begleiten, ihn zu beobachten, überschattet wurde.
Und da kam ihr die Idee, mit Boderow darüber zu sprechen. Man mußte mit jemandem reden. Für einen war das viel zu schwer zu tragen. Und zu Boderow hatte sie Vertrauen. Er würde ihr ehrlichen Herzens raten, ihr aber auch unverblümt seine Meinung sagen. Und schließlich hatte er ein gewisses Recht darauf, zu erfahren, was wirklich mit dem Kopf geschehen war. Hatte er doch bewerkstelligt, daß sie ihn bekam.
Bis zum Zeitpunkt eines möglichen Treffens aber wollte sie alles so belassen, wie es sich bislang begeben hatte.
Wenn man schon weiß – oder annimmt, daß man es mit einem Nasreddin zu tun hat, muß man eben auch mit seinem Intellekt, seiner Schlauheit rechnen. Er hat mich überrumpelt, damit muß ich nun leben. Daß er nun einbezogen ist, kompliziert die Situation. Aber ihn nicht einzubeziehen wäre sträflich und unlauter gewesen, zumal er klug genug ist, das Ungewöhnliche, Geheimnisvolle, ja, Ungeheuerliche der Lage selbst zu empfinden.
Boderow begrüßte Anora herzlich. Er drückte sie leicht an sich und gab ihr einen kleinen Kuß auf die Wange. »Entschuldigen Sie, daß ich Sie hierhergebeten habe nach Taschkent. Ich muß schon morgen nach Moskau…«, sagte er mit Bedauern in der Stimme, und er hob hilflos die Schultern.
»Ich bitte Sie! Erstens will ich etwas von Ihnen, und zweitens verbringe ich hier eine Art von Urlaub, wenn auch einen – sonderbaren.«
Sie nahmen in der Halle des Hotels an der Stirnwand Platz, abseits des Touristengeschehens.
»Sie haben mich neugierig gemacht«, bemerkte er.
Sie legte die Hand auf die seine, sah ihn an und sagte: »Alischer, ich möchte Ihnen zunächst eine Frage stellen, die ich Sie bitte ganz ehrlich und offen zu beantworten.«
»Ich bitte Sie«, antwortete er und spreizte die Arme vom Körper, soweit es der breite Sessel zuließ. Es sah aus, als wollte er sagen: Würden Sie je von mir etwas anderes erwarten?
Aber dann war er doch sichtlich überrascht, als sie fragte: »Hielten Sie mich bislang für – normal?«
Eine Sekunde war er sprachlos. Dann lachte er. »Sie wollen mich wohl verulken?« Doch dann wurde er ernst. »Aber deshalb sind Sie wohl nicht gekommen!« Er blickte sie unter sei nen buschigen Brauen hervor durchdringend an. »Ich halte Sie für normal, Anora, und auch für eine Frau, die damit durchaus etwas anzufangen weiß, denn jeder Mensch hat Potenzen, aber Sie haben die Ihren genutzt, ja, ich halte Sie für eine der klügsten Frauen, die ich je kennengelernt habe, und eine der – schönsten dazu. Schade, daß Sie das letztere so wenig nutzen… Aber das gehört wohl nicht hierher.«
»Sie sagen es!« Doch sie schmunzelte belustigt. Das war allerhand an Komplimenten, für Boderow etwas völlig Ungewöhnliches. »Wissen Sie, was ich mit dem Kopf aus dem Grab gemacht habe?«
»Untersucht, denke ich.«
»Ja, ich habe ihn aber auch rehydrosiert…«
»Sieht man ihm gar nicht an«, unterbrach er.
Sie lächelte zerstreut. »Es hat mich auch Mühe gekostet, ihn wieder in den alten Zustand zu versetzen, damit Sie es nicht merken. Aber ich habe ihn nicht nur aufgeschwemmt, sondern das Gehirn elektromagnetisch abgetastet…«
»Ah…«, er ruckte auf seinem Sessel hoch, kniff in höchster Aufmerksamkeit die Augen zusammen, »und?«
Sie legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm. »Es hat ausgezeichnet funktioniert.«
»Sie sagen das so daher, als sei dies das Einfachste von der Welt.«
»Na, es ist mein Hobby, und ich kann es mir leisten, weil mein Vater es sich leisten kann.« Sie sah ihn vielsagend an.
»Das macht Sie mir nicht unsympathischer«, sagte er. »Aber wir wollten doch sicher nicht über die ungerechte Verteilung der Güter auf diesem Planeten diskutieren.« Er lehnte sich wieder zurück. »Wo also ist des Pudels Kern?«
»Des Pudels Kern ist, daß ich es dabei nicht belassen habe, sondern die Struktur des fremden toten
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