Der Geist des Nasredin Effendi
werden, damit die Menschen sie sehen können.«
»Kostbarkeiten«, wiederholte er erneut, »Kostbarkeiten… Ich möchte nach Buchara.«
»Ich habe es mir gedacht. Es ist kein Problem. Willst du, daß ich dich begleite?«
»Ja«, antwortete er ohne Umschweife.
»Gut – aber was wird Gusal dazu sagen?« Sie lächelte ihn an.
»Sie wird es verstehen.«
»Wird sie nicht«, sie sagte es mit Bestimmtheit, aber nicht überheblich. »Kaum ein Mensch wird – das verstehen.«
»Aber ich muß nach Buchara, und mit dir.«
Gur-Emir
Anora hatte den Zeitpunkt herbeigesehnt, zu dem Alischer Boderow aus dem Sudan zurückgekehrt sein würde.
Sie war ungeheuer stolz auf das Ergebnis ihres Experiments. Sie hätte das Unerhörte hinausjubeln mögen in alle Welt, hätte gern darüber geschrieben, pausenlos wißbegierigen Journalisten Interviews gegeben. Statt dessen spielte sie Versteck, verbarg sich, wo sie konnte, beobachtete, aber kam zu keinem Schluß.
Was war das für ein Augenblick, als Omar inmitten der von ihr erworbenen Früchte das Bewußtsein erlangte. Und diese Spannung! Was für ein Bewußtsein würde das sein? Hatte sich das gewiß kräftige Gehirn den fremden Impulsen widersetzt, war er der alte Omar geblieben? Oder war das Experiment gelungen!
Wie freudig erregt war Anora dann, als der Mann, der offensichtlich nicht mehr Omar war, begann, seine Früchte zu verkaufen, auch wenn er sie mehr verschleuderte. Aber was mußte in diesem Menschen vorgehen! Und noch wußte sie nicht, in welchem Umfang dieses Gehirn funktionieren würde.
Begreiflich, daß er dann so schnell wie möglich den Ort seines Niedergangs verlassen wollte. Anora hatte Mühe, ihn im Gedränge nicht aus den Augen zu verlieren. Tausend Gedanken auf einmal schossen ihr durch den Kopf, solche, die sie während des Experiments nicht gedacht hatte. Was würde er zum Beispiel mit diesem Körper, der ihm im Grunde fremd sein mußte, anfangen? Würde er den – Betrug sofort merken, wie würde er ihn aufnehmen?
Jede Phase versuchte sie zu verfolgen. Wie er zweifelnd sich umsah, offensichtlich das Gegenwärtige mit seiner Erinnerung verglich – also erinnert er sich, konstatierte sie. Schauerlich kam ihr der Gedanke vor, seine eigene Hinrichtung wiedererleben zu müssen.
Als er sich endlich mit ihrem Esel auf die Straße nach Urgentsch machte, war es ihr leicht geworden. Er fand sich zurecht, er findet sich zurecht, jubelte es in ihr. Aber zugleich regte sich der unbändige Wunsch, zu wissen, wer er wirklich war, wie er unters Richtbeil geraten war, wie er sich fühlte in dieser Welt, mit ihr zurechtkam. Aber wie sollte man das bewerkstelligen, ohne sich zu offenbaren!
Es war ihr nicht immer leichtgefallen, auf seiner Spur zu bleiben. Die erste Nacht hatte sie im Auto geschlafen, nachdem sie im Vorüberfahren festgestellt hatte, daß er ein Nachtlager zwischen den Feldern aufschlug. Sie hoffte sehr, daß er eine feste Bleibe finden würde, solange der kleine Sender, den sie im Zaumzeug des Esels verborgen hatte, noch genügend Energie hatte… Und das geschah glücklicherweise.
Und dann die Sensation, als sie durch vorsichtiges Fragen erfuhr, daß sich der Neue für Nasreddin, den Chodscha, ausgab. Das weckte Hoffnung und Zweifel zugleich, aber die Zweifel überwogen.
Anora war nach Taschkent geflogen, hatte die Rayonsbibliothek zwei Tage lang durchstöbert und tatsächlich einen Hinweis gefunden, daß der große Timur den Chodscha Nasreddin wegen dessen Ruf als scharfsinniger und witziger Mann zu sich in seine Residenz nach Samarkand geladen hatte. Und das Erstaunliche: Die in dieser Quelle angegebene Jahreszahl stimmte mit dem Alter des in Chiwa aufgefundenen Grabes in einem solchen Maße überein, daß Anora an einen Zufall von diesem Augenblick an nicht mehr glauben wollte.
Aber wenn es stimmte – nicht auszudenken! Und angenommen, ein solches Hirn funktionierte normal, welch ein Fundus für die Historiker! Die Jahrhundertsensation. Er würde der berühmteste Mann sein, alle Welt würde ihm zujubeln, alle Fernsehstationen, alle Zeitungen würden berichten.
Und dann, als sie das alles – in Taschkent noch – überdachte, brach es über sie herein: Man kann einem Menschen nicht so etwas antun! Er wäre gehetzt und verfolgt sein Leben lang, stets Objekt für irgendwelche Untersuchungen, er fände keine Ruhe.
Und der Ausgangspunkt des Ganzen: das Experiment, das bei dieser Gelegenheit natürlich nicht ausgeklammert
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