Der Geist des Nasredin Effendi
Streiche müßtest du auf anderes richten, wenn du das Neue begriffen hast, und das dauert, das sage ich dir, lange! Und dennoch, alter Nasreddin, deine Zeit lief gemächlicher. Mußtest nicht zur Seite springen, wenn die rasenden Maschinen auf den Straßen preschen. Du kanntest keinen Vorsitzenden, dessen ein und alles die Baumwolle ist, der dich aber dennoch besuchte, als du krank warst.
Du lebtest mit deinem Esel, seiner Milch, wenn es eine Stute war, dem Fladenbrot und einem Stück Schafkäse – zum Fest eine Hammelkeule, eine Schüssel Plow, zugegeben – monatelang. Heute hat man Apparate, mit denen kannst du in alle Herren Länder sehen wie der Zauberer aus dem Märchen mit seinem Ring.
Um solch einen Seher zu besitzen oder eine Maschine, vergißt der Mensch seinen Freund, nimmt den Glanz der Sterne nicht mehr wahr, weiß nicht mehr um das Wunder, das die Natur ihm alltäglich offenbart. Der heutige Mensch kann aus der Konserve – so nennen sie das – leben. Bohnen und Hammel, der Saft der Pflaume, des Weins, aber auch Töne und Bilder…
Du drückst auf einen Knopf oder nimmst ein kleines Gerät, und schon hast du das, was für dich aufgehoben wurde in einer Fabrik. Und nichts oder fast nichts mußt du hinzutun. Du verleibst es dir ein, und das ist bequem, sage ich dir. Du liegst unter dem Granatapfelbaum, und von einem Bändchen hörst du eine Musik aus einer fernen Stadt, einem neuen Mekka. Und dazwischen pflückst du Baumwolle oder füllst die Konserventöpfe, die du des Abends wieder öffnest, natürlich nicht dieselben. Was sagst du? Ich aus dem Magnetspeicher sei selbst eine solche Konserve…? Du überraschst mich, lernst schnell…
In der Tat, der Alte hat recht! Ich bin eine Konserve. Sie, diese Hexe Anora, sie hat doch diesen Com…, dieses Ding noch. Und aus jedem anderen Omar oder Jussuf oder Alischer – oder wie er sonst heißen mag – kann sie einen Nasreddin machen, der das gleiche erlebt hat wie du und ich, das gleiche Erinnern, sich der gleichen Freunde und Bekannten besinnt, der Eltern. Und jeder glaubt von sich, der echte Nasreddin zu sein. Wie wir beide. O Allah, wenn es dich gibt, was hast du zugelassen? Ist sie von dir begnadet oder ein Werkzeug des Scheitans?
Oder was hältst du von einer Welt voller Nasreddine, unterschiedlich von Gestalt zwar, aber jeder empfindet das gleiche, hat die gleiche Herkunft? Wäre das schön? Würdest du so leben wollen? Selbst eine Frau könnte Nasreddin, der Chodscha, sein. Du meinst, es würde sich herausstellen, ob jemand es tatsächlich ist, das Leben würde es prüfen? Aber jeder würde es doch von sich annehmen, und es wäre rechtens! Es wäre doch ganz lustig, der Wettstreit zwischen den Nasreddinen…
Nasreddin wurde es bei diesen Gedankengängen wirr im Kopf. Trotzdem erheiterte ihn die Vorstellung, wie sich eine Menge Nasreddine in mächtigen Wortgefechten bekriegen.
Verwundert sah Anora auf den hockenden Mann, der wie stillvergnügt vor sich hin schmunzelte.
Würde dir eine solche Welt gefallen, alter Nasreddin? Du weißt es nicht! Ich weiß es auch nicht. Aber einen Vorteil hat diese neue Welt für die Menschen. Sie versuchen in Frieden miteinander auszukommen. In deiner Zeit sah der Gebieter sein größtes Heil, seinen Ruhm darin, Schrecken und Unheil, Leid, Tränen und Trümmer über andere zu bringen. Freilich, es existieren noch solche Timure, aber so wie der unsere können sie nicht mehr schalten und walten, auch wenn sie viel schrecklichere Waffen haben, schneller und vielleicht mächtiger sind als der alte TA-MERLAN. Ich weiß, du würdest viel dafür geben, daß du nicht stets fürchten müßtest, wilde Scharen könnten dir über Nacht das Dach über dem Kopf anzünden, dich versklaven, töten, vergewaltigen.
Ich glaube, du hast recht, nur muß man auch mit dem Frieden Vernünftiges anfangen, darf um seinetwillen nicht alle Mängel unter den Teppich kehren.
Es ist wahr, man sollte nicht rechten. Jede Epoche hat ihre Schatten- und Lichtseiten. Ausschlaggebend ist wohl, für wen der Schatten, für wen das Licht… Oder für wie viele von allen…
Nasreddin erhob sich, die Frau trat vor, reckte sich. Er hatte sie in diesem Augenblick ganz vergessen…
»Gehen wir?« fragte sie.
»Wo ist – sie und wo der – Kopf?« fragte er, als fiele es ihm schwer.
»In Buchara, im Museum.«
»Museum…«, wiederholte er und horchte dem Wort nach.
»Ein Ort, an dem Kostbarkeiten vergangener Epochen aufbewahrt
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