Der Geist des Nasredin Effendi
Gehirns einem zwar kranken, aber durchaus lebendigen aufgeprägt habe.«
»Nein!« Er schrie es fast. Die Verkäuferin von dem nahen Buchstand blickte aufmerksam und streng herüber. »Und, und, sprechen Sie weiter. Das ist nicht gelungen, nicht wahr? Nein…«, und er hieb sich gegen die Stirn, »da wären Sie ja nicht hier. Es ist also gelungen!«
»Sie sagen es.«
»Das ist unmöglich!«
»Sie halten mich also doch für verrückt?«
Er sah sie verdutzt an. »Aber nein«, protestierte er. »Sie müssen jedoch zugeben, daß das unglaublich klingt.«
»Ich hatte es zwar erhofft, wie das jeder macht, der forscht, aber… Nun, es ist gelungen.«
»Und er lebt, läuft herum und – erinnert sich etwa?«
»Und erinnert sich!«
»Mädchen, wissen Sie, was Sie da reden!« Er hatte sich halb über sie gebeugt und an den Schultern gefaßt. Die Buchverkäuferin kam hinter ihrem Tresen hervor. Doch er hatte sich schnell wieder gefangen. »Entschuldigen Sie«, sagte er heiser, »aber das geht mir an die Nieren. Und Sie sitzen so ruhig da, wir müssen doch etwas unternehmen, gleich morgen…«
»Morgen fliegen Sie nach Moskau…«, unterbrach sie.
»Ich pfeife auf Moskau«, rief er.
»Sie werden nicht pfeifen, auch dann nicht, wenn Sie alles wissen.«
Er stutzte. »Was, zum Teufel, haben Sie noch auf Lager? Wenn das schon stimmt, ist es eine Weltsensation.« Und als ob er sich des Fakts nun erst bewußt geworden wäre, stand er steif auf, ergriff ihre Hand und sagte gerührt: »Ich beglückwünsche Sie von ganzem Herzen, Anora, zu diesem großartigen Erfolg. Sie werden in die Geschichte der Wissenschaft eingehen wie, na mindestens wie die Curie.«
Sie ließ ihn gewähren, lächelte sogar. Doch dann, als er wieder Platz genommen hatte, sagte sie ernst: »Deswegen, Alischer, bin ich eigentlich hier. Nicht um mich in meinem Erfolg zu sonnen…«, sie sagte es mit ein wenig Sarkasmus in der Stimme, »sondern um ihn – zu begraben. Dazu brauche ich Ihren Rat.«
Er sah sie einen Augenblick scharf an, dann sank er zurück in den Sessel. Er sagte lange nichts. In seinem Gesicht arbeitete es. Dann legte er seine dunkle, behaarte Hand auf die ihre und sagte, und es tat ihr wohl: »Ich glaube, ich verstehe Sie, Anora. Die Folgen sind nicht auszudenken. Aber daß der Erfolg Ihnen genommen wird, das würde ich nicht zulassen wollen, da denken wir uns noch etwas aus.« Dann fiel er in einen anderen, in einen herzlichen Ton: »Schmerzt es?« fragte er.
»Ein wenig schon«, gab sie zu. »Erst recht, wenn Sie wissen, um wen es sich handelt!«
»Wieso – sagen Sie bloß, das wissen Sie. Das ist ausgeschlossen!«
»Also doch verrückt?« fragte sie.
»Sie wollen wissen, wem dieser Kopf gehörte?«
»Ich glaube es zu wissen, und ich bin beinahe überzeugt davon, daß es stimmt.«
»Wer, kenne ich ihn, oder, Quatsch, müßte ich um ihn wissen?«
»Und ob!«
»Spannen Sie mich nicht auf die Folter, um Himmels willen, wessen Nerven sollen das alles aushalten?«
»Nasreddin, der Chodscha!«
»Nein!« Es klang richtig gequält, wie er es herausschrie.
Nun aber kam die Buchverkäuferin, eine wohlausgebildete Kraft des Hotels. »Kann ich etwas für Sie tun?« fragte sie pikiert und sah von einem zum anderen.
»Lassen Sie sich nicht stören, danke«, antwortete Boderow. »Danke!« fügte er nachdrücklich hinzu, als sie noch einen Augenblick unschlüssig stand.
»Woher wollen Sie das wissen?« fuhr er Anora förmlich an.
»Von ihm selbst.«
»Sie stehen mit ihm in Verbindung, sprechen mit ihm?«
»Er hat mich zur Rede gestellt, als ich ihn – wahrscheinlich ungeschickt – beobachtete.«
»Hat Sie zur Rede gestellt!« Wiederholte er und schüttelte ungläubig den Kopf, als fasse er den gesamten Tatbestand noch immer nicht. »Bitte, erzählen Sie mir alles.« Und sie erzählte.
Als der Bericht Anoras, den sie so knapp wie möglich gehalten hatte, zu Ende war, schwiegen beide.
Boderow rang sichtlich um Fassung, in seinem Gesicht arbeitete es, und ab und an schüttelte er fast unmerklich den Kopf.
Aber plötzlich fragte er: »Könnte ich ihn sehen, mit ihm sprechen?«
Obwohl Anora mit einer derartigen Frage, mit einem solchen Wunsch gerechnet hatte, zögerte sie mit der Antwort. Natürlich konnte jeder mit Nasreddin sprechen, er sprach ja täglich mit allen möglichen Leuten. Boderow aber wußte um seine Entstehung und würde wahrscheinlich ganz anders mit ihm reden wollen. »Wenn
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