Der Geisterfahrer
fühlte mich in dieser Rolle auch herausgefordert; wenn rings um mich vier Frauen verschiedenen Alters einer irrationalen Angst vor einem Kellerraum erlagen, dann musste wenigstens ich die Fahne der Vernunft hochhalten, obschon, ich muss es gestehen, auch mir auf einmal nicht mehr ganz wohl war, wenn ich die Waschküche betrat. Ich spürte jedes Mal eine gewisse Erleichterung, wenn beim Leeren der Wäschetrommel kein Stoff mit lila Mäandern zum Vorschein kam.
Der Mantelumhang hing nun ebenfalls hinter der Wäschezimmertür, über Jacke und Rock, und verströmte einen Hauch von Minzenduft. Als eines Tages im Briefkasten ein Plastiksack für eine Altkleidersammelaktion lag, war es beschlossene Sache, dass die Mäanderkleider als erste in den Sack wandern sollten. Mit dieser Aufgabe wurde ich betraut, denn das Unbehagen der Frauen war inzwischen so groß, dass sie die Kleidungsstücke nicht einmal mehr anfassen wollten.
Am Abend dieses Tages nahm ich den Plastiksack, entfaltete
ihn und ging damit in das Wäschezimmer. Ich schaute den aufgehängten Anzug einen Augenblick lang an, und als ich als Erstes die Mütze vom Haken nehmen wollte, hielt mich eine unerklärliche Regung zurück. Es war mir, als vergreife ich mich an etwas Kostbarem, Unantastbarem. Na gut, dachte ich, in einer Woche ist es noch früh genug, ging zu meinem Kleiderschrank und legte eine alte Hose in den Sack, damit schon etwas drin war. Gleichzeitig wunderte ich mich über meine Scheu, die Kleider wegzuschaffen. Ich wusste nicht, woher sie kam.
Am nächsten Morgen sollte ich es erfahren. Als ich mit einem Korb schmutziger Wäsche die Treppe hinunter stieg und die Waschküche betrat, kauerte zwischen dem Tisch und der offenen Waschmaschine eine Frau.
»Oh«, sagte ich, »guten Morgen. Suchen Sie etwas?«
Die Frau sah mich verängstigt an. Sie war jung, sah fremdländisch aus, am ehesten asiatisch, und war bekleidet mit etwas, das vielleicht ein Unterrock war, vielleicht ein großes Tuch. Es war offensichtlich, dass sie nicht verstand, was ich sagte. Ich versuchte es auf englisch, aber auch darauf reagierte sie nicht. Da saß sie, zusammengekauert, und schaute mich an. Mein Angebot, mit mir nach oben zu kommen, ignorierte sie, also ging ich allein und klopfte meine Frau aus dem Badezimmer.
»Was gibt’s?«, rief sie unter der Dusche hervor.
»Die Besitzerin des Kleides ist in der Waschküche!«, rief ich.
Im Nu stand meine Frau im Bademantel unter der Tür. »Was sagst du da?«, fragte sie. Ich berichtete ihr kurz von meiner Begegnung. Wir berieten, was zu tun sei, und beschlossen
dann, gemeinsam hinunter zu gehen und der fremden Frau die Kleider aus dem Wäschezimmer zu bringen. Als wir die Waschküche betraten, kauerte sie noch in der genau gleichen Stellung am genau gleichen Ort.
»This is Erica, my wife«, sagte ich, »and my name is Jürg, eh, George«, fügte ich hinzu. Ich hatte beschlossen, beim Englischen zu bleiben, das immerhin eine Weltsprache war. Die Augen der Fremden musterten kurz meine Frau; sie selbst blieb reglos. Nun hielt meine Frau die schwarzen Kleider mit dem lila Mäandermuster vor sie hin und fragte sie: »Are these your clothes?«
Jetzt lächelte die Frau und nickte. Sie schien erleichtert, wie jemand, der etwas lang Gesuchtes findet.
»You want to dress yourself?«, fragte meine Frau weiter.
Die Fremde nahm die Kleider in ihre Hände, dann schaute sie mich an.
»Geh nur«, sagte meine Frau, »ich komm dann nach.«
Ich verließ die Waschküche und stieg in unsere Wohnung. Dort holte ich einen Stuhl im Wohnraum und stellte ihn in die Küche, wo schon zum Frühstück für vier gedeckt war. Ich nahm ein fünftes Gedeck aus dem Schrank.
»Was machst du?«, fragte Anna leicht verwundert, als sie die Küche betrat.
»Es kommt noch jemand«, sagte ich, und als Anna noch verwunderter blickte, fügte ich hinzu, »die Kleider werden abgeholt.«
Das verstand sie nun überhaupt nicht mehr, und ich, genau genommen, noch weniger, aber ich bereitete sie und ihre Schwester darauf vor, dass ihre Mutter gleich mit
einer Frau zum Frühstück kommen werde, die auf ähnliche Weise den Weg in unsere Waschküche gefunden haben musste wie zuvor die heimatlosen Kleider, denn die Haustür, das hatte ich beim Hinaufgehen kontrolliert, die Haustür war abgeschlossen, und die Kellerfenster waren zu.
Die beiden Schwestern hielten einander ungläubig an den Händen, als meine Frau nun mit der Fremden in die Küche trat. Die Kleider, das
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