Der Geisterfahrer
über die Brüste und schaute sich ihren Bauch an. Die Frau hatte die Statur eines jungen Mädchens, ihr Becken war erschreckend schmal und die Wölbung des Bauches enorm.
»Macht die Fensterläden auf«, sagte sie zu den Mägden, während sie den Bauch abtastete, und als sich diese unschlüssig anblickten, fügte sie etwas lauter hinzu: »Schnell!«
Die beiden gehorchten, und mit dem Abendlicht strömte auch frische Luft ins stickige Zimmer, Mechthild sog sie gierig ein.
Als Sabina jetzt an der Scheidenöffnung arbeiten wollte, fiel ihr mit Schrecken ein, dass ihr Notfallkoffer mit den Handschuhen, dem Herztonverstärker und allem, was sie jetzt bräuchte, im Auto in der Garage war und dass sie ihre verschwitzten Hände, mit denen sie Zaumzeug und Sattel gehalten und dem Schimmel in die Mähne gegriffen hatte, nicht richtig waschen konnte. Sie hielt einen Finger in den Zuber und zog ihn sofort wieder zurück.
»Seife?«, fragte sie, aber das Wort war unbekannt. Sie überlegte einen Moment.
»Schnaps?« Ebenso unbekannt.
»Branntwein?«, fragte sie weiter, und nun nickten die beiden Frauen heftig.
»Schnell!«, rief Sabina, »schnell, schnell!«, denn die junge Mechthild ächzte und war doch nicht in der Lage, ihre Leibesfrucht hinauszupressen.
Sabina tastete den Bauch ein zweites Mal ab, sie prüfte mit den Fingern, ob der Kopf des Kindes noch beweglich war und legte dann ihr Ohr an seinen Nackenpunkt, bis sie die Herzschläge des Kindes hörte. Wie nah waren diese, wenn sie durch ein Gerät wiedergegeben wurden, das man bloß auf die Bauchdecke zu legen brauchte, und wie weit weg waren sie, wenn man sie mit dem eigenen Ohr aushorchen musste. Aber, da war Sabina sicher, sie waren da. Das Kind lebte.
»Schön ruhig, Mechthild«, sagte Sabina und hielt ihr die Hände auf den Bauch.
Was würde sie im Fall einer Komplikation tun? Sie trat ans Fenster und blickte in den Hof hinunter – er bot genügend Landeplatz für einen Helikopter.
»Wo kann man telefonieren?«, fragte sie.
Was die Frau meine, fragten die Helferinnen in ihrem seltsamen Dialekt.
»Telefonieren«, wiederholte Sabina und unterstützte das Wort pantomimisch.
Die Frauen schüttelten ratlos den Kopf, während Mechthild von einem neuen Stoß empor gerissen wurde.
Als Sabina nun zu ihrem Handy greifen wollte, merkte
sie, dass sie es gar nicht bei sich trug. Ihre Tasche war in der Garage neben der Türe stehen geblieben. Sie hatte also nichts dabei, nichts außer ihrem Schlüsselbund, und es sah ganz so aus, als hätte sie der Schimmel in eine Welt getragen, die kaum etwas mit der ihren gemein hatte. Hier war einfach das im Gange, was den Frauen zu allen Zeiten beschieden war, und aus irgendeinem verborgenen Grunde war sie zur Hilfe auserkoren worden.
Die ältere Frau kam herein gehastet, mit einer Flasche Branntwein in der Hand. Sabina hielt die Nase daran, er roch ziemlich hochprozentig, und bat die Frau dann, sie solle ihn langsam über ihre Hände gießen. Die Frau tat wie geheißen, und Sabina rieb sich Finger und Handflächen damit ein.
»Danke«, sagte sie, »wie heißt du?«
»Anna«, sagte die Ältere.
»Und du?«, fragte Sabina die andere.
»Maria«, sagte diese.
Für weitere Vorstellungsgespräche blieb keine Zeit, denn die Wehen überfielen Mechthild aufs Neue.
Sabina stellte sich an die Bettkante, griff vorsichtig mit den Fingern in den Scheideneingang, fand einen fast vollständig eröffneten Muttermund und den Kopf im Beckeneingang, aber die Pfeilnaht, das spürte sie deutlich, war gerade, und das hieß, dass das Kind im hohen Geradstand war.
»Wie lang geht es schon?«, fragte sie.
»Schon einen Tag«, gaben Anna und Maria fast gleichzeitig zur Antwort.
Also nützte es nichts mehr, die Frau anders zu lagern.
In dieser Situation wäre Sabina und praktisch alle Kolleginnen und Kollegen, die sie kannte, operativ vorgegangen. Wie eine solche Geburt manuell durchzuführen wäre, hatte sie zwar in ihrer Ausbildung einmal gelesen, doch nie hätte sie gedacht, dass sie so etwas je selbst tun müsste.
Einen Moment schloss sie die Augen, in der vergeblichen Hoffnung, aus einem Albtraum zu erwachen, doch als dies nicht geschah, wandte sie sich den beiden Helferinnen zu.
»Ist kaltes Wasser da?«
Die beiden verneinten.
»Holt kaltes Wasser«, sagte sie, und die beiden gaben den Befehl der Dienerin vor der Türe weiter.
Nun bat Sabina die zwei Mägde, sich aufs Bett zu setzen und ihr zu helfen, Mechthild nach vorn zu
Weitere Kostenlose Bücher