Der Geisterfahrer
Öffnung, kam aber nicht am Köpfchen vorbei. Sabina keuchte, als ob sie gebären müsste.
Mechthild röchelte, war aber nicht bei Bewusstsein. Das Köpfchen füllte die ganze Öffnung aus.
Die beiden Mägde auf dem Bett begannen zu weinen, auch der Dienerin liefen die Tränen herunter, und »Min Gott, min Gott!«, klagte Maria, Anna schluchzte, und vor Sabinas Augen verschwamm die Vagina der Kreißenden mit dem Köpfchen, das nicht hinaus konnte.
»Nicht heulen«, sagte Sabina, »es muss gehen!«
Sie drückte das Köpfchen mit der linken Hand einen Moment lang etwas zurück, und es gelang ihr, die Gertenschlinge so weit hineinzuschieben, bis sie das Kinn des Kindes spürte. Als sie losließ, drängte das Köpfchen sogleich wieder gegen den Ausgang.
Und nun fing sie an, an der Schlinge zu ziehen, sachte zunächst, dann, als sie merkte, dass die Gerte nicht brach, nachhaltiger, bat Anna, bei jeder Wehenbewegung mit ihrem Unterarm auf Mechthilds Bauch zu drücken, und so zog sie und zog, Anna drückte und drückte, Sabina zog und zog und zog, und schließlich sah sie, dass das Köpfchen im Beckenboden stehen blieb. Nun nahm sie die Gertenschlinge in die linke Hand und spreizte ihre Rechte über dem Damm, um diesen gegen den großen bevorstehenden Druck zu schützen. Und er kam, der Druck, mit der nächsten Wehe, die Mechthild überfiel, Sabina hielt mit ihrer letzten Kraft die rechte Hand gegen den Damm, ließ dann die Gerte los und half mit der linken Hand dem Köpfchen, das nun endlich mit blutigem Fruchtwasser ans Tageslicht kam, gefolgt vom ganzen kleinen Körper des Kindes. Statt es in das Tuch zu legen, das Maria für den Säugling bereit hielt, legte Sabina der Mutter das Kind zwischen die Brüste. Kaum tat es seinen ersten Schrei, kappte sie ihm die Nabelschnur mit der Schere von der Kommode und band sie mit dem Garn ab, und als Mechthild die Augen aufschlug, sagte ihr Sabina »ein Bub«, und Mechthild lächelte. Das Kind schien gesund und normal, nur das Kinn trat ungewöhnlich stark hervor.
Die Nachgeburt kam problemlos und wurde von Maria in ein Tuch gewickelt, Sabina tupfte Mechthild mit
Branntwein den Riss am Damm ab, der nicht allzu groß war. Dann rieb sie sich mit einem feuchten Tuch das Blut von den Händen, trat ans Fenster und sah, dass alle Burgbewohner auf dem Hof standen und erwartungsvoll zu ihr hochblickten.
»Ein Bub!«, rief sie hinunter, und ein Freudengeschrei war die Antwort, der Burgherr fiel einer schönen Frau in die Arme, ein Mann mit einer silbernen Kette nickte lachend, Frauen und Kinder begannen zu tanzen, die Waschfrau stemmte die Hände in die Hüften und drehte sich einmal um sich selbst, ein Kaplan bekreuzigte sich, zwei Männer zogen ihre Degen und fochten klirrend einen fröhlichen Scheinkampf, dann griff sich Sabina an die Stirn, wandte sich um und verlangte von Anna ein Glas Branntwein.
Das Klappern von Pferdehufen in der Burgerwaldstraße mitten in der Nacht war ein derart ungewöhnliches Geräusch, dass Frau Brunner, die nicht einschlafen konnte, aufstand und zum Fenster hinausschaute. Was sie im Lichte der letzten Laterne der Straße erblickte, erschreckte sie.
Der Schimmel, den sie heute Nachmittag gesehen hatte, kam in langsamem Tritt daher, und im Sattel lag, vornübergebeugt, die Hände in die Mähne des Pferdes gekrallt, ihre Ärztin und schien zu schlafen. Die Frau streifte sich einen Regenmantel über, schlüpfte in ihre Sandalen und rannte hinaus, holte den Schimmel ein, ergriff die eine Hand der Reiterin und rief halblaut: »Frau Doktor!«
Sabina Christen öffnete die Augen, richtete sich benommen
auf, und Frau Brunner erschrak ein zweites Mal. Bluse, Jacke und Hose ihrer Ärztin waren überall voller Blutflecken.
»Ho-oh!«, rief Sabina Christen, und der Schimmel blieb stehen.
»Wo kommen denn Sie her?«, fragte Frau Brunner und hielt die Reiterin immer noch fest an der Hand.
Diese atmete tief ein, stieg dann langsam ab und sagte: »Von einer Geburt.«
»Jesses, im Wald?«
»Etwas abgelegen, ja«, seufzte Sabina.
Fassungslos starrte Frau Brunner ihre Ärztin an. Jung war sie an ihrem Garten vorbeigegangen heute Nachmittag, und jetzt waren ihre Haare aschgrau.
Sabina lockerte dem Schimmel den Sattelgurt, nahm ihn am Halfter, wendete ihn, ging mit ihm zur letzten Laterne und sagte dann: »Geh heim, Beowulf!«
Der Schimmel warf den Kopf in die Höhe, stieß ein kurzes Wiehern aus und ging in einem lockeren Trab auf den Wald zu.
Die beiden
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