Der Gejagte
kleiner Glöckchen, gefolgt
von schmetternden Fanfarenstößen und dem dumpfen Dröhnen großer, in bedächtigem Rhythmus schlagender Kesselpauken. Nahezu
schlagartig wurde es still in der Stadt. Überall ringsherum auf den
Festungsmauern erstarrten die Männer und blickten in dieselbe Richtung. Auch die Menschenmenge, die sich in den überfüllten Straßen
drängte, schien den Atem anzuhalten.
»Geht es los?«, fragte Julia. Ihre Stimme zitterte.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Andrej. Das Schlagen der Kesselpauken und die Fanfarenstöße wurden lauter und schneller, aber noch
zeigte sich auf der Hügelkuppe nicht die mindeste Bewegung.
»Bring Julia fort«, bestimmte Andrej. »Geht in euer Haus. Es liegt
ein gutes Stück abseits der Mauer. Wenn die Festung fällt, versucht
zu entkommen und verbergt euch in den Felsen.«
»Auf die Idee wäre ich allein niemals gekommen«, sagte Abu Dun
spöttisch. Seine Augen blieben jedoch ernst. »Und du?«
Andrej schüttelte entschlossen den Kopf. »Ich bleibe hier«, antwortete er.
»Weil du diesen fanatischen Rittern so viel schuldest, nehme ich
an?«, vermutete Abu Dun höhnisch.
»Weil es ein bisschen zu spät ist um wegzulaufen«, erwiderte Andrej. Er gewahrte aus den Augenwinkeln eine Bewegung und zog besorgt die Brauen zusammen, als er niemand anderen als Chevalier de
Romegas erkannte, der, gefolgt von einem halben Dutzend schwer
bewaffneter Ritter, den Ordensmeister selbst und Sir Oliver eskortierte. Die kleine Gruppe bewegte sich zielstrebig in ihre Richtung.
»Deine Freunde sind im Anmarsch, wie ich sehe«, bemerkte Abu
Dun, der seinem Blick gefolgt war. Andrej fragte sich, woher die
Feindseligkeit in Abu Duns Stimme kam. Sicher, sie beide hatten nie
viel mit der Kirche zu schaffen gehabt - im Gegenteil, es hatte eine
Zeit gegeben, in der er jedem, der den Rock eines Kirchenmannes
trug, mit tiefem Misstrauen und Feindschaft begegnet war. Doch
mittlerweile hatten Abu Dun und er auf Malta, in der letzten Ordensfestung der Johanniter, so etwas wie eine Heimat gefunden und eine
Zeit des Friedens und des Glücks, die sie gar zu lange vermisst hatten.
»Was immer passiert, du solltest Romegas nicht reizen«, sagte er.
»Weil er so ein netter Kerl ist und das nicht verdient hat?«, wollte
Abu Dun wissen und legte demonstrativ seine riesige Pranke auf den
Griff des Krummsäbels, der aus seinem Mantel ragte. »Oder weil er
mir sonst etwas antun würde?«
»Dir vielleicht nicht«, entgegnete Andrej. Abu Dun konnte einen
kurzen, erschrockenen Blick in Julias Richtung nicht unterdrücken,
doch bevor er etwas sagen konnte, hatte Romegas als Erster der kleinen Gruppe den Wehrgang erreicht. Sein Gesicht verdüsterte sich vor
Zorn, als er den Nubier erblickte.
»Was macht dieser muselmanische Spion hier?«, schnappte er.
»Delãny! Ich wusste, dass man Euch nicht trauen kann!«
Abu Dun sog hörbar die Luft durch die Nase ein und seine Hand
schloss sich noch fester um den Griff seiner Waffe. Andrej trat mit
einem raschen Schritt zwischen ihn und Romegas und versuchte
zugleich, Starkeys Blick aufzufangen. La Valettes Gesicht war wie
üblich nahezu ausdruckslos, sodass es ihm nicht gelang, darin zu
lesen, doch in den Augen des Engländers erblickte er schon wieder
ein nicht ganz unterdrücktes, amüsiertes Funkeln. Nicht zum ersten
Mal fragte er sich, ob er La Valettes Sekretär vollkommen falsch
eingeschätzt hatte. »Abu Dun ist hier, weil ich nach ihm gerufen habe«, sagte er.
»So?« Romegas glaubte ihm kein Wort. »Ist es auf diese Weise
leichter, die Geheimnisse auszutauschen, die Ihr ausspioniert habt?«
»Romegas, ich bitte Euch«, mischte sich Starkey ein. Seine Stimme
klang leicht gereizt. »Wenn das alles hier vorbei ist, dann duelliert
Euch meinetwegen mit Chevalier Delãny und mit seinem Freund
ebenfalls, wenn Ihr das wünscht. Aber im Moment haben wir wirklich keine Zeit für einen solchen Unsinn.« Er wandte sich direkt an
Andrej. »Habt Ihr etwas herausgefunden?«
Statt zu antworten, warf Andrej einen kurzen, bezeichnenden Blick
aus den Augenwinkeln zu Julia hin und Starkey verstand. »Chevalier
de Romegas«, sagte er in liebenswürdigem Ton, »seid doch so gut
und eskortiert diese Dame zu ihrem Haus zurück. Eine Festungsmauer ist kein passender Ort für eine Frau, schon gar nicht, wenn eine
Schlacht bevorsteht.«
Romegas’ Gesicht verlor deutlich an Farbe. Er ächzte, setzte dazu
an, etwas zu sagen, klappte den Mund wieder zu und
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