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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Höhe gewirbelt und
wie Spielzeug durch die Luft geschleudert. Blutende Männer mit
abgerissenen oder zerfetzten Gliedmaßen taumelten aus dem Pulverdampf hervor, manche stolperten davon, andere schleppten sich
wankend weiter auf die Festung zu, wieder andere lagen bereits im
Todeskampf.
Diesmal vergingen nur wenige Augenblicke, bevor die Geschütze
ein zweites Mal feuerten und erneut Tod und erbarmungslose Vernichtung in den Reihen der türkischen Angreifer säten.
»Gleich noch einmal!«, sagte La Valette. »Sie sollen feuern, bis die
Rohre glühen!«
»Ich flehe Euch an, Exzellenz«, stöhnte Andrej. »Macht diesem
sinnlosen Morden ein Ende! Das sind keine Krieger!«
La Valette fuhr mit einer wütenden Bewegung herum und funkelte
ihn an. »Und was soll ich Eurer Meinung nach tun, Delãny?«,
schnappte er. »In aller Ruhe zusehen, wie sie die Mauern stürmen,
und hoffen, dass sie sich auch noch daran erinnern, keine Krieger zu
sein, wenn sie in der Stadt sind?« Er schüttelte wütend den Kopf und
deutete mit einer anklagenden Geste auf die einsame Gestalt auf dem
Hügelkamm. »Ihr habt Recht, Delãny. Das ist kein Krieg. Das ist ein
Schlachten. Aber ich bin nur der Schlachter. Dieser Mann da ist es,
der sie zur Schlachtbank schickt.«
Andrej schwieg. Nicht nur, weil er sich - so grausam ihm der Gedanke auch vorkommen mochte - eingestehen musste, dass der alte
Johanniter Recht hatte. Mustafa Pascha hatte genau gewusst, was
geschehen würde, und hatte all diese Männer bewusst in den sicheren
Tod geschickt. Aber warum?
Bevor er noch etwas sagen konnte, donnerten die Geschütze ein
weiteres Mal. Obwohl Staub und Ruß und hochgewirbelter Dreck
mittlerweile so dicht über dem Land lagen, als hätten sich die Wolken vom Himmel herabgesenkt, und barmherzig nahezu jeden Blick
auf das Schlachtfeld verwehrten, schloss Andrej erneut die Augen
und wandte sich mit hilflos geballten Fäusten und einem Stöhnen auf
den Lippen um.
In diesem Moment spürte er die Präsenz.
Sie war so deutlich, als stünde der Dämon unsichtbar nur eine Armeslänge hinter ihm. Andrej spürte die Zufriedenheit der unheimlichen Kreatur, einen düsteren, bösen Triumph. Irgendetwas geschah
oder würde gleich geschehen…
Andrej fuhr herum, zog das Schwert halb aus der Scheide und sah
sich mit wilden Blicken um. Doch der Dämon war nirgends zu sehen.
Das Gefühl seiner Gegenwart war so übermächtig, dass es Andrej
fast die Kehle zuschnürte. Er spürte genau, dass das grauenhafte Geschöpf ihn beobachtete, jede seiner Bewegungen (und schlimmstenfalls jeden seiner Gedanken) registrierte, aber es hielt sich dennoch
nicht in seiner unmittelbaren Nähe auf.
»Was habt Ihr?«, fragte Starkey alarmiert. Auch La Valette riss seinen Blick vom Schlachtfeld los und sah besorgt zu Andrej hoch. Den
beiden Männern war seine Reaktion nicht entgangen und sie schienen genau zu spüren, was sie bedeutete.
»Nichts«, antwortete Andrej. »Ich dachte nur…«
Er sprach nicht weiter, sondern nahm sogar demonstrativ die Hand
vom Schwert, aber Starkey runzelte noch besorgter die Stirn und
fragte leise: »Er ist hier, nicht wahr?«
Andrej hob zur Antwort nur die Schultern. Starkey setzte dazu an,
etwas zu sagen, doch noch bevor er das erste Wort aussprechen
konnte, erhob sich überall ringsum auf den Wehrgängen und Türmen
ein jubelndes Triumphgeschrei. »Sie fliehen! Sie ziehen sich zurück!«
Tatsächlich tauchten immer mehr und mehr flüchtende Männer aus
den brodelnden Rauch- und Staubwolken auf, die noch immer vor
der Stadt lagen. Obwohl es Hunderte waren, erschien Andrej ihre
Zahl doch zugleich entsetzlich gering. Die Geschütz- und Musketensalven hatten einen grauenhaften Blutzoll für diesen vollkommen
sinnlosen Angriff gefordert. Viele von ihnen waren verletzt, sie alle
hatten ihre Leitern, Reisigbündel und Werkzeuge weggeworfen und
versuchten in Panik ihr nacktes Leben zu retten. Andrej sah, wie einzelne Offiziere die Männer mit gezogenen Säbeln aufzuhalten und
wieder zurückzuschicken versuchten, doch sie wurden einfach niedergerannt.
Sein Blick suchte den türkischen Befehlshaber. Mustafa Pascha galoppierte auf seinem prächtigen Hengst über den Hügelkamm und
rief den Truppen, die in Bereitschaft standen, Befehle zu. Mit fast
unheimlicher Präzision, so als stünden sie auf einem Paradeplatz und
nicht auf dem Schlachtfeld, bewegten sich ihre Reihen, rückten enger
zusammen und bildeten schmale, aber präzise

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