Der Gejagte
er die dunklen Uniformen ihrer Verfolger erkannte. Es waren nicht einfache Soldaten wie
die, mit denen sie es auf dem Vorplatz zu tun gehabt hatten, sondern
Janitscharen - die Elitetruppen des Sultans.
»Schneller!«, keuchte er.
Abu Dun stemmte sich mit noch größerer Kraft gegen die Stange,
um das Boot von der Stelle zu bekommen. Hinter ihnen sausten die
Janitscharen heran. Etwas krachte. Ein heller, peitschender, geradezu
bösartiger Laut. Das Geräusch hallte in dem unterirdischen Gewölbe
wider wie ein Kanonenschuss. Im gleichen Augenblick streifte ein
heißer Luftzug Andrejs Gesicht. Aus der Säule unmittelbar vor ihnen
schlugen Funken. Etwas heulte auf und schlug mit einem hellen Platschen ins Wasser.
Andrej wandte den Kopf und sah, dass der Janitschar, der auf sie
geschossen hatte, auf ein Knie herabgesunken und damit beschäftigt
war, seine Hakenbüchse hastig neu zu laden. Er fasste neuen Mut.
Dieser Soldat schien der Einzige zu sein, der mit einer Feuerwaffe
ausgerüstet war. Seine Kameraden trugen Schwerter, Schilde und
Speere. Nicht dass Andrej diesen Waffen keinen Respekt entgegenbrachte - erst recht nicht in den Händen solch hervorragend ausgebildeter Krieger - aber Feuerwaffen flößten ihm eine Heidenangst ein.
Er fürchtete sie nicht, er hasste sie regelrecht. Sie widersprachen seinem Sinn für Gerechtigkeit und Anstand. Ein Mann konnte damit
über hundert Schritte Distanz hinweg getötet werden, ohne dass er
auch nur ahnte, woher der Schuss kam, oder er eine Chance hatte,
ihm auszuweichen. Sollte ihn irgendwann einmal der Tod endgültig
ereilen, dann, so vermutete er, würde es durch Schießpulver geschehen.
Wie um ihn eines Besseren zu belehren, schleuderte einer der Janitscharen jetzt seinen Speer. Die Waffe überwand die Distanz, die das
Boot schon vom Sims trennte, fast ebenso schnell wie zuvor die Kugel, aber mit deutlich mehr Zielgenauigkeit. Andrej versuchte erst
gar nicht, ihr auszuweichen, sondern drehte nur im letzten Moment
den Oberkörper und schlug den Speer mit der bloßen Hand beiseite.
Das Ergebnis war eine weitere, bis auf den Knochen reichende
Schnittwunde, aus der das Blut spritzte. Andrej wankte, fiel stöhnend
auf die Knie und presste die verwundete Hand gegen die Brust. Vor
Schmerz wurde ihm übel. Ein zweiter Speer raste heran und klatschte
eine Handbreit neben dem Boot ins Wasser. Andrej registrierte wie
durch einen erstickenden, dunkelroten Nebel hindurch, wie sich drei
der Janitscharen ohne zu zögern ins Wasser warfen und mit erschreckendem Geschick und großer Schnelligkeit auf sie zuzuschwimmen
begannen.
Er kippte nach vorn, fing seinen Sturz mit der unversehrten Hand
ab und versuchte, Schmerz und Übelkeit zurückzudrängen und sich
auf seine verwundete Hand zu konzentrieren. Die Blutung ließ bereits nach. Sein einzigartiger Organismus hatte schon damit begonnen, den Schaden zu reparieren. Andrej wusste, dass es kaum eine
Stunde dauern würde, bis von dem Schnitt nicht einmal mehr eine
Narbe zu sehen sein würde. Aber sie hatten keine Stunde. Sie hatten
nicht einmal eine Minute. Er musste seinen Körper zwingen, die Heilung zu beschleunigen. Dafür würde er später einen hohen Preis zahlen müssen, aber das spielte jetzt keine Rolle.
Neben ihm zog Abu Dun mit einem Mal die Stange ins Boot zurück, wodurch sich ihre ohnehin erbärmliche Geschwindigkeit noch
weiter verringerte, ließ sich auf die Knie sinken und wartete, bis die
beiden schwimmenden Soldaten das Boot fast erreicht hatten. Dann
griff er mit beiden Händen zu, packte sie bei den Helmen und zog
sie, anscheinend ohne die geringste Mühe, aus dem Wasser heraus,
um sie kraftvoll mit den Köpfen aneinander zu schlagen. Einer der
Männer erschlaffte augenblicklich in seiner Hand. Der andere stieß
einen gurgelnden Schrei aus und begann zu zappeln. Abu Dun ließ
die beiden wieder los - ein Fischer, der mit seiner Beute nicht zufrieden war und sie ins Wasser zurückwarf - und griff erneut nach seiner
Stange. Die beiden Krieger gingen unter, während ein weiterer Speer
herangeflogen kam, eine Handbreit neben dem Nubier den Rand des
Bootes traf und Splitter aus dem Holz riss.
Währenddessen konzentrierte sich Andrej mit aller Macht auf seine
verletzte Hand. Ein nagender Schmerz pulsierte in ihr. Zugleich aber
spürte er, wie der Blutstrom endgültig versiegte und sich zerschnittenes Fleisch und zerfetzte Haut wieder zusammenzufügen begannen.
Schließlich hörte der
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