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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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erreicht hatten, dann waren noch drei weitere
Männer an Bord - einfache Fischer, deren Dienste sie eine knappe
Tagesreise entfernt in Anspruch genommen hatten, und die nicht
wussten, wer sie wirklich waren. Wenn sie es wussten, dann hatte der
Beutel mit Goldstücken, den Andrej ihnen gegeben hatte, ihre Neugier ebenso nachhaltig gestillt, wie er ihr Misstrauen besänftigt hatte.
Gewissenlose Männer, die ihr Volk und ihre Überzeugung für eine
Hand voll Münzen verkauften, und die Andrej normalerweise zutiefst
verachtet hätte, ohne die ein Unternehmen wie das ihre aber nicht
möglich gewesen wäre.
Abu Dun hatte richtig gehandelt, als er sich verstellt hatte. Die
Männer mochten ihr Land und ihre Herrscher für Gold verraten, aber
sie würden nicht tatenlos zusehen, wie ein tödlich Verwundeter aufstand und herumspazierte, als sei nichts geschehen. Er musste sich in
Geduld fassen.
Der Gefährte ließ die Plane wieder fallen, entfernte sich lautstark
trampelnd und kam ebenso lärmend wieder zurück. Diesmal schlug
er die Plane weiter zur Seite, bevor er sich auf die Knie fallen ließ
und Andrejs Kopf mit der Linken anhob, während er mit der anderen
Hand einen Wasserschlauch an seine Lippen führte. Sein besorgter
Gesichtsausdruck galt dabei aber vermutlich weit mehr der Frage, ob
Andrej seine Rolle als Sterbenskranker überzeugend genug spielen
würde, als seinem Gesundheitszustand.
Das grelle Sonnenlicht, das dabei ohne Vorwarnung in Andrejs Augen stach, nahm ihm diese Sorge ab. Andrej senkte gequält die Lider,
verzog das Gesicht schmerzerfüllt und stieß hörbar die Luft zwischen
den Zähnen aus.
Der erste Wassertropfen hatte kaum seine Lippen benetzt, da spürte
er, wie entsetzlich durstig er war. Er trank mit großen, gierigen
Schlucken, bis ihm Abu Dun den Schlauch schließlich wegzog und
ihn wieder niederdrückte.
»Nicht so viel auf einmal«, sagte Abu Dun laut. Er legte den
Schlauch aus der Hand, schlug das Segeltuch noch weiter zurück und
griff hinter sich. Umständlich breitete er einen Berg hastig improvisierten Verbandszeugs vor sich aus. Dann beugte er sich tief über
Andrej und begann sich an seiner Brust zu schaffen zu machen.
Andrej sah an sich herab und stellte fest, dass von seinen ehedem
kostbaren Seidengewändern nicht viel mehr als blutgetränkte Fetzen
übrig geblieben waren. Darunter befand sich ein dicker, alles andere
als sachkundig angelegter Verband, der ihm ein sonderbar missgestaltetes Aussehen verlieh. Abu Dun entfernte den Verband, warf ihn
kurzerhand über Bord, damit keiner der anderen sah, dass der Stoff
keinerlei Blutspuren aufwies und legte ihm einen neuen, ebenso
missglückten Verband an. Während er das tat, saß er so, dass er Andrej mit seinen breiten Schultern vor den neugierigen Blicken der anderen abschirmte.
»Sobald wir allein sind, wirst du mir eine Menge Fragen beantworten müssen«, sagte Andrej leise.
Abu Dun grinste nur und antwortete laut: »Du hast mehr Glück als
Verstand gehabt. Der Speer hat dein Herz um Haaresbreite verfehlt.
Aber werde jetzt nicht leichtsinnig. Beweg dich möglichst wenig.
Der Blutverlust hat dich geschwächt.«
Auch diese Worte galten nicht Andrej, sondern den anderen, obwohl sie mehr Wahrheit enthielten, als Andrej lieb war. Er fühlte sich
schwach und der Speer hatte sein Herz tatsächlich nur um Weniges
verfehlt. So eine rasiermesserscharfe Klinge war durchaus in der Lage, selbst ihn zu töten.
Während Abu Dun ihn verband, hatte Andrej Gelegenheit, sich umzusehen und sich einen Überblick über seine Lage zu verschaffen.
Sie hatten in der Tat mehr Glück als Verstand gehabt. Statt in den
Folterkellern des Sultans war er nicht nur in Freiheit aufgewacht,
sondern tatsächlich auf dem Boot, das sie nach Konstantinopel gebracht hatte. Der Hafen lag friedlich vor ihnen. Es herrschte geschäftiges Treiben, aber es waren nicht mehr Wachen als üblich zu erblicken. Rechts und links des kleinen Bootes bewegte sich ein Dutzend
Schiffe träge auf den Wellen. Es waren auch Kriegsschiffe darunter,
aber niemand schien sich sonderlich für ihr Boot zu interessieren.
»Wie spät ist es?«, fragte Andrej leise.
»Die Kette wird gleich herabgelassen«, antwortete Abu Dun ebenso
verhalten. »In einer Stunde sind wir hier weg. Wahrscheinlich eher.«
Er machte eine Kopfbewegung in die entsprechende Richtung. Der
Hafen war zur Seeseite hin durch eine gewaltige Kaimauer geschützt,
an deren Ende sich ein wuchtiger

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