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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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es niemals zuvor so wichtig gewesen war wie jetzt, diese Antworten zu
bekommen. Möglicherweise hingen nicht nur sein und Abu Duns
Leben davon ab. Er nickte.
»Dann komm mit«, sagte Starkey.
Sie verließen den Raum und gingen einen langen, trotz der überall
herrschenden Betriebsamkeit nahezu menschenleeren Flur entlang,
an dessen Ende sich die Bibliothek befand, wie Andrej von seinen
zahlreichen Aufenthalten dort wusste. Zu seiner Überraschung ging
Starkey jedoch an der Tür des großen mit Pergamenten, Schriftrollen
und uralten Handschriften voll gestopften Saals vorbei und blieb vor
einer schmalen Pforte an der gegenüberliegenden Wand stehen, die
Andrej noch nie weiter aufgefallen war. Umständlich kramte der
Engländer einen großen Schlüssel unter seiner Kleidung hervor, mittels dessen er das Schloss entriegelte. Das Geräusch, mit dem sich
die Tür öffnete, verriet Andrej, wie schwer sie war, und auch, wie
selten die aus wuchtigem Eisen gefertigten Scharniere benutzt wurden, noch bevor sich die Tür weit genug geöffnet hatte, um ihn erkennen zu lassen, dass sie aus beinahe handstarken Bohlen gefertigt
war.
»Du wirst niemandem verraten, was du hier drinnen siehst«, sagte
Starkey. »Und du wirst mit niemandem über das sprechen, was du
hier erfährst. Ich erwarte dein Ehrenwort.«
»Mein Ehrenwort?«, vergewisserte sich Andrej.
»Was überrascht dich so an dieser Bitte?«, wollte Starkey wissen.
»Vielleicht«, antwortete Andrej, »dass Euch das Ehrenwort eines
Mannes wie mir etwas gilt.«
»Möglicherweise verstehst du mich besser, nachdem du gesehen
hast, was ich dir zeigen werde«, antwortete Sir Oliver geheimnisvoll.
Er zog die Tür weit genug auf, dass sie mit einiger Mühe durch den
entstandenen Spalt schlüpfen konnten.
Der Raum, in den sie traten, war nur wenig größer als die Gebetskammer, in der er vorhin auf Andrej gewartet hatte, und ebenfalls
fensterlos. Unter der Decke befand sich jedoch ein schmaler Spalt,
durch den ein eng gebündelter Strahl aus hellem Sonnenlicht hereinfiel. Direkt darunter war ein einfacher kleiner Tisch aufgestellt worden, zu dem ein dreibeiniger Schemel gehörte, bei dessen bloßem
Anblick Andrejs Rücken schon zu schmerzen begann. Da das Licht
so grell und gezielt auf den Tisch fiel, bestand der Rest des Raumes
selbst für Andrejs scharfe Augen aus wenig mehr als Schatten und
vagen Umrissen. Immerhin konnte er erkennen, dass es nur ein einziges weiteres Einrichtungsstück gab: einen wuchtigen Schrank mit
eisenverstärkten Türen, die kaum weniger massiv aussahen als die
Tür, durch die sie hereingekommen waren, und die von einem aberwitzig großen Vorhängeschloss gesichert wurden.
Starkey öffnete ihn mithilfe desselben Schlüssels, den er gerade
schon benutzt hatte, zog einen der beiden schweren Türflügel auf und
trug ein gewaltiges, in uraltes, steinhartes Leder gebundenes Buch
zum Tisch. Es schien so schwer zu sein, dass der schmalschultrige
alte Mann unter seinem Gewicht wankte, doch Andrej widerstand
dem Impuls, zu ihm zu gehen und ihm zu helfen. Starkey schien das
auch nicht erwartet zu haben. Er lud den Band mit einem gewaltigen
Knall auf dem Tisch ab, wandte sich um und trug ein zweites und
dann noch ein drittes Buch heran.
»Dass du des Französischen mächtig bist, weiß ich ja«, sagte er,
während er sich zum vierten Male umwandte, um diesmal mit einem
ganzen Arm voll eng zusammengerollter Pergamente zurückzukommen, »und ich nehme an, dass du auch Arabisch lesen kannst. Aber
bist du des Lateinischen mächtig?«
»Ein wenig«, nickte Andrej - was eine Untertreibung war. Er beherrschte diese Sprache ebenso fließend wie ein gutes Dutzend anderer, die er im Laufe seines langen Lebens gelernt hatte.
»Dann ist es gut«, sagte Starkey. »Manche dieser Aufzeichnungen
sind so alt, dass nicht einmal ich weiß, in welcher Sprache sie verfasst worden sind, aber die meisten sind in Latein, Französisch oder
Arabisch geschrieben.« Er ging wieder zum Schrank, schloss die Tür
und ließ das gewaltige Vorhängeschloss einschnappen. Dann war er
mit zwei Schritten beim Ausgang. »Ich kann dir eine Stunde gewähren«, sagte er. »Nicht mehr.«
»Aber…«, begann Andrej und starrte aus ungläubig aufgerissenen
Augen auf den riesigen Stapel aus Büchern und Pergamenten, den
Starkey vor ihm auf der Tischplatte aufgehäuft hatte. Es mussten
Hunderte von Seiten sein, wenn nicht Tausende!
»Keinen Augenblick mehr«, beharrte Sir

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