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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Problem
der Unterkunft angeht, so macht Euch keine Sorgen. Ich gebe dem
Hauptmann der Wache Bescheid, damit er sich darum kümmert. Wir
mussten für so viele Männer Platz in der Stadt finden, dass wir zwei
weitere sicherlich auch noch irgendwo unterbringen werden.«
Sir Oliver Starkey hatte Wort gehalten, in jeder Beziehung - allerdings auch in jeder Beziehung auf eine andere Art und Weise, als
Andrej erwartet hatte. Nur eine Stunde nach ihrem Gespräch am Kai
und unmittelbar, nachdem das letzte Boot abgelegt und sich auf eine
vielleicht nicht lange, aber gefahrvolle Reise gemacht hatte, kam der
Hauptmann der Wache zu ihnen und befahl ihnen barsch und ohne
Abu Dun eines Blickes zu würdigen, mit ihm zu kommen. Für eine
Weile hoffte Andrej, Starkey habe sich doch anders entschieden und
ihnen ein Quartier im Ordenshaus oder hinter den sicheren Mauern
des Forts zugewiesen, denn sie entfernten sich vom Hafen und bewegten sich zielstrebig auf den trutzigen Schatten der Festung zu.
Am Ende jedoch geleitete sie der Soldat zu einem der zahlreichen
heruntergekommenen und hoffnungslos überfüllten Gasthäuser Birgu, wo ihnen eine winzige Kammer direkt unter dem Dach zugewiesen wurde. Andrej war nicht angetan von dieser Lösung. Davon abgesehen, dass es sich um ein mit Wanzen verseuchtes Loch handelte,
in das kaum Licht drang, in dem es dafür aber umso erbärmlicher
stank, gefiel Andrej die Vorstellung nicht, die nächsten Tage unter
all den Soldaten und Söldnern zu verbringen, die das Gasthaus füllten.
Abu Dun lebte seit drei Jahren unter den Einwohnern Birgus, sie
hatten sich an seinen Anblick gewöhnt und ihn akzeptiert. Darüber
hinaus hatte er die meiste Zeit in Julias abgelegenem Haus verbracht,
was den Leuten Anlass genug zu heimlichem Getuschel und den wildesten Gerüchten gegeben hatte, aber nicht zu wirklicher Feindseligkeit. Nun stand ein gewaltiges Heer von Männern vor der Stadt, die
ebenso fremdartig aussahen wie der Nubier. Sie waren hier auch
nicht unter einfachen Fischern und Handwerkern, sondern unter Soldaten, die zum größten Teil erst vor kurzem eingetroffen waren und
darauf brannten, den einen oder anderen morgenländischen Schädel
einzuschlagen. Abu Dun beruhigte ihn jedoch und gab ihm sein Ehrenwort (was immer das wert sein mochte), sein Quartier nicht zu
verlassen, als kurz nach der Mittagsstunde ein weiterer Bote Starkeys
zu ihnen kam, um Andrej ins Ordenshaus zu geleiten.
In dem großen, immer kühlen und trotz seiner großzügigen Fenster
stets ein wenig düster wirkenden Gebäude herrschte eine nervöse,
hektische Atmosphäre. Von irgendwo her drang ein monotoner
Sprechgesang an sein Ohr, eine kleine Glocke schlug, langsam, aber
so regelmäßig wie ein Herz aus Metall. Trotz des hellen Tageslichtes, das durch die Fenster hereinströmte, brannten überall Fackeln,
deren Qualm sich mit dem allgegenwärtigen Weihrauchgeruch zu
einem Gestank vermengte, der Andrej das Atmen schwer machte.
Diesmal erwartete ihn der Engländer allein. Starkey kniete in einer
kleinen, fensterlosen Kammer vor einem schlichten Holzkreuz und
war offensichtlich ins Gebet versunken, als sie eintraten. Ungewöhnlich genug für einen Mann wie ihn, unterbrach er auf der Stelle sein
Gebet, als er das Geräusch der Tür hörte, und stand auf, sagte jedoch
kein Wort, sondern wartete mit steinerner Miene, bis Andrejs Führer
ging und sie allein waren.
»Du bist also gekommen, um deine Belohnung einzufordern«, begann er.
»Ich dachte, es sei eher ein Angebot von Euch«, erwiderte Andrej
verwirrt. »Außerdem meinte ich das, was ich heute Morgen sagte,
ernst. Es ist einfacher, einen Feind zu bekämpfen, den man kennt, als
einen, über den man nichts weiß.«
Starkey sah ihn auf eigentümliche Weise an. »Vielleicht wirst du in
der Tat eine Menge über deinen Feind erfahren«, sagte er, »aber damit auch zugleich über dich. Bist du wirklich sicher, dass du das
willst?«
Andrej zögerte. Starkey hatte im Grunde nur dieselbe Frage laut
ausgesprochen, die er sich selbst schon unzählige Male gestellt hatte,
seit seine mittlerweile mehr als ein Menschenleben währende Suche
nach der Wahrheit über sich und seine Herkunft ihren Anfang genommen hatte. Abu Dun hatte einmal zu ihm gesagt, dass es Fragen
gebe, die besser für alle Zeiten unbeantwortet blieben. In Momenten
wie diesem glaubte er zu verstehen, was der Nubier damit gemeint
hatte. Auf der anderen Seite hatte er das sichere Gefühl, dass

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