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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sich mit etwas festerer Stimme wieder an Starkey wandte. »Es geht um… den Heiden, Sir Oliver.«
»Abu Dun?«, fragte Andrej. Alarmiert richtete er sich auf und nahm
die Arme herunter.
Der Junge nickte nervös. »Er ist hinunter zu dem Gefangenen gegangen.«
Starkey riss die Augen auf. »Chevalier de Romegas?« Als ob es
noch einen anderen Gefangenen im Ordenshaus gäbe!
»Ja«, antwortete der Novize. »Vor einer halben Stunde. Gleich
nachdem er gekommen ist.«
»Wer hat dir gestattet, ihn zu dem Gefangenen zu lassen?«, fuhr ihn
Starkey an.
»Niemand, Sir«, antwortete der Junge hastig. »Aber es hatte auch
niemand ausdrücklich verboten. Und er… er behauptete, in Eurem
Befehl zu handeln. Also dachte ich, es habe schon seine Richtigkeit
und…«
Andrej hatte genug gehört. Ohne die nächsten Worte des bedauernswerten Novizen abzuwarten, der einzusehen begann, dass er einen schweren Fehler gemacht hatte, und innerlich vor Angst vermutlich tausend Tode starb, bedeutete er Starkey mit einer Kopfbewegung, ihm zu folgen, und stürmte aus dem Saal.
»Der Großmeister soll nachkommen!«, rief Starkey im Hinausgehen. »Du wartest hier auf ihn.«
Alles in Andrej schrie danach loszurennen, aber er beherrschte sich.
Nicht unbedingt aus Rücksicht auf Starkey, sondern vielmehr in dem
sicheren Wissen, dass es dort unten in den Verliesen ohnehin nichts
mehr gab, was er tun konnte. Der Novize hatte von einer halben
Stunde gesprochen, und aus welchem Grund auch immer Abu Dun
zu Romegas gegangen war, er hatte sein Vorhaben sicherlich längst
in die Tat umgesetzt.
Mit weit ausgreifenden Schritten, aber langsam genug, damit der
Engländer nicht zurückfiel, stürmte er den Gang entlang und die
Treppe hinunter. Dennoch holte Starkey ihn erst ein, als er vor der
wuchtigen Tür anhalten musste, die zu den Verliesen hinabführte.
Der dort postierte Soldat weigerte sich, ihn passieren zu lassen, bis
Starkey auftauchte und ihn mit einer unwirschen Bewegung dazu
aufforderte.
Die Treppe war so steil, dass Starkey sich beim Hinabsteigen mit
ausgestreckten Armen an den Wänden rechts und links abstützte und
es Andrej überließ, die Fackel zu tragen, die ihm der Posten mitgegeben hatte. Es gab dort unten weder Fenster noch irgendeine andere
Öffnung. Die Luft war so unerträglich stickig, dass jeder Atemzug
zur Qual wurde und der bestialische Gestank bewies, dass Chevalier
de Romegas momentan vielleicht der einzige, aber gewiss nicht der
erste Insasse des Kerkers war.
Die Treppe endete in einem niedrigen Gewölbegang, der nur zwei
Türen auf jeder Seite und eine weitere an seinem Ende aufwies. Andrej hatte erwartet, dort unten einen weiteren Posten vorzufinden. Offensichtlich erging es Starkey genauso, denn er stockte und sah sich
irritiert um, eilte aber dann ohne ein Wort weiter und zog ächzend
die schwere Tür am Ende des Ganges auf.
Der Raum dahinter war winzig und so niedrig, dass selbst ein
durchschnittlich gewachsener Mann Schwierigkeiten gehabt hätte,
aufrecht zu stehen.
Als sie eintraten, erlebte Andrej eine Überraschung. Wie Starkey
und er erwartet hatten, befand sich Abu Dun in der Zelle, und wie
zumindest Andrej erwartet hatte, kniete er in gebückter Haltung vor
dem Mann, der einmal Chevalier de Romegas gewesen war. Aber anders, als er erwartet hatte, war Romegas noch am Leben. Er hockte
mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden und hatte den Hinterkopf gegen den rauen Stein der Wand sinken lassen. Sein Gesicht sah
im flackernden Licht der Fackel sonderbar grau und eingefallen aus.
Seine Augen sprühten vor Hass, als er Starkey und ihn erkannte.
»Was hat das zu bedeuten?«, herrschte Starkey den Nubier an.
»Wer hat dir erlaubt, mit dem Gefangenen zu sprechen?«
»Niemand hat es mir ausdrücklich verboten«, antwortete Abu Dun
ruhig. »Meinen Glückwunsch, Sir Oliver. Euer Folterknecht muss ein
begnadeter Meister seiner Zunft sein. Was immer er getan hat, um
diesen Mann zum Reden zu bringen, hat nicht die mindesten Spuren
hinterlassen.«
Andrej betrachtete Romegas etwas aufmerksamer. Abu Dun hatte
die Wahrheit gesagt. Romegas’ Kleider waren zerrissen und starrten
vor Schmutz. Man konnte riechen, dass er in seinem eigenen Dreck
dasaß. In der Luft lag der unverwechselbare Geruch von Blut und
verbranntem Fleisch. Doch die Haut, die er unter Romegas’ zerfetzten Kleidern und in seinem Gesicht sehen konnte, war völlig unversehrt.
»Das ist das Praktische an einem eurer Art«,

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