Der Gejagte
sinnlos, mit Abu Dun reden zu wollen. Später, wenn er sich beruhigt hatte und der erste und schlimmste
Schmerz vorüber war, konnte er das immer noch nachholen.
»Er wird dafür bezahlen«, fuhr Abu Dun fort, wieder mit dieser
sonderbar kalten, leeren Stimme, deren Klang Andrej mehr erschreckte als alles andere. »Ich weiß noch nicht, wie, aber ich werde
einen Weg finden, ihn tausend Jahre lang dafür bezahlen zu lassen.«
Von der anderen Seite der Straße her erscholl ein gellender Schrei.
Andrej und Abu Dun sahen gleichzeitig hoch und erblickten Julia,
die aus dem Haus getreten war und nun mit wehendem Haar und
weit ausgreifenden Schritten in ihre Richtung rannte. Starkey machte
eine rasche Geste, und einer der Soldaten versuchte, sie an der Schulter zu packen und festzuhalten, doch sie riss sich los, stieß einen weiteren Mann so derb aus dem Weg, dass er das Gleichgewicht verlor
und stürzte, und fiel mit einem Schrei neben Pedro auf die Knie.
Die nächsten Minuten schienen Andrej ein einziger Albtraum zu
sein. Julia brach weinend über ihrem Sohn zusammen, nahm dessen
Gesicht zwischen die Hände, streichelte und küsste es und versuchte
in schierer Verzweiflung die schreckliche Wunde in seinem Hals mit
bloßen Händen zuzudrücken, als könne sie auf diese Weise das Leben daran hindern, aus ihm herauszufließen. Sie schrie und schluchzte abwechselnd, und jeder einzelne Laut bohrte sich wie eine dünne,
rot glühende Messerklinge tief in Andrejs Herz.
Andrej war sicher, dass der Dämon den Nubier und ihn auch diesmal wieder hätte töten können, wenn er es nur gewollt hätte, selbst
wenn sie von all diesen Männern und Soldaten umgeben waren. Aber
ihr Tod reichte ihm nicht. Er wollte, dass sie litten, und es gab keine
schlimmere Qual als diejenigen leiden zu sehen, die man liebte, ohne
ihnen helfen zu können. Er dachte an das Versprechen, das er Abu
Dun gegeben hatte, und er war nicht sicher, ob er es wirklich halten
konnte.
Plötzlich hörte Julia auf zu schluchzen. Sie saß vollkommen reglos
da und blickte auf den Leichnam ihres Sohnes hinab, dann schrie sie
gellend auf, warf sich herum und begann mit beiden Fäusten auf Abu
Duns Brust und Gesicht einzuschlagen. »Was habt ihr mit meinem
Sohn gemacht, ihr Ungeheuer?«, schrie sie. »Was habt ihr ihm angetan?«
Einer der Soldaten hinter ihr streckte den Arm aus, um sie von Abu
Dun wegzureißen, doch Andrej warf ihm einen so eisigen Blick zu,
dass er sich hastig wieder zurückzog. Julias Fäuste, die rot und nass
vom Blut ihres Kindes waren, hämmerten unentwegt weiter auf Abu
Duns Gesicht ein, doch der Nubier zuckte nicht einmal mit der Wimper und sah sie nur aus ausdruckslosen Augen an.
»Was habt ihr ihm angetan? Warum musstet ihr ihn mir auch noch
nehmen?«
»Julia, bitte«, sagte Andrej leise. »Es war nicht Abu Duns Schuld.
Er hat versucht, ihn zu beschützen, aber er konnte das Ungeheuer
nicht aufhalten. Niemand kann das.«
Er glaubte nicht, dass Julia seine Worte überhaupt gehört hatte,
doch nach zwei, drei weiteren Schlägen hörte sie auf, wie von Sinnen
auf Abu Dun einzuschlagen, und drehte sich mit einem Ruck zu ihm
herum. In ihren Augen lagen so viel Verzweiflung und Schmerz,
dass es Andrej schier das Herz brach.
»Gebt mir meinen Sohn zurück«, schrie sie. »Tötet mich, wenn ihr
ein Opfer braucht. Macht mit mir, was ihr wollt, aber gebt mir mein
Kind zurück!«
»Julia, es… es tut mir so unendlich Leid«, flüsterte Andrej. »Ich
wollte, ich könnte es rückgängig machen. Ich wollte, ich könnte etwas für ihn tun. Ich würde mein eigenes Leben opfern, um ihn zu
retten. Aber es geht nicht.«
Andrej hasste sich selbst für diese leeren Worte, die Julia wie der
blanke Hohn vorkommen mussten. Doch wahrscheinlich hatte sie sie
gar nicht verstanden. Sie starrte ihn weiterhin auf diese unerträgliche
Art an, dann beugte sie sich wieder über Pedro und begann leise und
krampfhaft zu schluchzen.
Andrej streckte die Hand aus, um sie zu berühren, doch Abu Dun
griff rasch nach seinem Arm und hielt ihn fest. Gleichzeitig stand er
auf und zwang auf diese Weise auch Andrej, sich zu erheben. Sein
Gesicht war noch immer wie aus Stein.
»Ich will, dass der Junge ins Ordenshaus gebracht wird«, sagte er,
direkt an La Valette gewandt. »Ihr werdet dafür sorgen, dass er dort
aufgebahrt wird und niemand ihn anrührt.«
La Valettes Augen verengten sich. »Was glaubst du, wer du bist,
dass du meinst, mir Befehle
Weitere Kostenlose Bücher