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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Dun?«, murmelte er verstört.
Der Nubier zog die Augenbrauen zusammen. »Na, wenigstens erkennst du mich noch«, sagte er kopfschüttelnd. »Ich hatte schon
Angst, ich hätte zu hart zugeschlagen und dir das bisschen Verstand,
das noch übrig ist, auch noch aus dem Schädel geprügelt.«
Andrej blinzelte die Tränen weg, versuchte zu antworten und konnte es nicht. Abu Dun kniete noch immer auf seiner Brust, quetschte
seine Lungen unbarmherzig zusammen und machte es ihm unmöglich zu atmen.
»Nimmst du jetzt Vernunft an oder muss ich dich erst umbringen?«,
fuhr Abu Dun fort. »Der Tod soll ja auf manche Menschen eine äußerst beruhigende Wirkung haben.«
Andrej konnte auch darauf nicht antworten, was Abu Dun zweifellos wusste. Dennoch wartete er noch zwei, drei Augenblicke ab, bevor er sich mit einer wuchtigen Bewegung abstieß und aufrichtete.
Dass seine Knie sich dabei noch härter in Andrejs Brust bohrten und
ihm weitere Rippen brachen, war vermutlich kein Zufall.
Keuchend rang Andrej nach Atem. Obwohl Abu Duns Gewicht
nicht mehr auf seiner Brust lastete, bekam er immer noch keine Luft
und sein Körper reagierte genau so wie der jedes normalen, sterblichen Menschen: Aus der Atemnot wurde schlagartig Todesangst, die
seine Gedanken mit lodernder Panik erfüllte. Nur unter Aufbietung
aller Willenskraft gelang es ihm, die Panik niederzukämpfen und
sich auf das zu konzentrieren, was zu tun war.
Doch das war gar nicht so leicht. Die Minute, in der er dalag und
mit zusammengebissenen Zähnen in sich hineinlauschte, schien eine
ganze, höllische Ewigkeit zu währen. Andrej spürte, wie sich gebrochene Knochen zusammenfügten, zerrissenes Gewebe heilte und sich
seine geschundenen Lungen wieder mit Sauerstoff füllten. Jeder einzelne Nerv in seinem Körper überflutete ihn mit Wellen aus purem
Schmerz.
Früher hatte er einmal geglaubt, sich irgendwann an diesen unheimlichen Heilungsprozess zu gewöhnen und sogar eines Tages den
Schmerz ausblenden zu können, aber diese Hoffnung hatte sich als
trügerisch erwiesen. Seine Wunden heilten zwar mittlerweile deutlich schneller und er war auch imstande, schwerere Verletzungen zu
verkraften als noch einige Jahrzehnte zuvor, aber die Qualen, die er
dabei litt, hatten eher zugenommen.
Als es vorbei war, sank er erschöpft zurück und nahm einen einzelnen, schmerzhaften Atemzug. Alles drehte sich um ihn. Abu Duns
Gesicht begann mit dem Nachthimmel zu verschmelzen. Er verspürte
eine so tiefe Müdigkeit, dass es ihn all seine verbliebene Kraft kostete, ihr nicht nachzugeben und sich in die verlockende Umarmung
einer Ohnmacht sinken zu lassen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Abu Dun.
Nachdem er gerade mit mehr oder weniger Erfolg versucht hatte,
ihn in Stücke zu brechen, war das eine ziemlich überflüssige Frage,
dachte Andrej. Trotzdem nickte er, zwang sich, die Augen zu öffnen
und arbeitete sich mühsam in eine halb sitzende Position hoch.
»Sicher«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Davon abgesehen, dass mir gerade der Mond auf den Kopf gefallen
ist, fühle ich mich gut.«
»Das kann ich gut nachvollziehen«, sagte Abu Dun. »Ein Stück davon hat mein Knie getroffen, weißt du?« Er lachte, aber es klang
nicht sehr überzeugend. In seiner Stimme war ein Unterton von Sorge, der Andrej alarmierte.
Er blinzelte aus immer noch tränenverschleierten Augen zu seinem
Freund hoch und sah, dass der Nubier sich zwar aufgerichtet hatte,
aber nach vorne gebeugt dastand. Seine rechte Hand massierte sein
Knie. Andrej erinnerte sich an das Geräusch brechender Knochen,
das er gehört hatte, kurz bevor der Himmel auf ihn herabfiel.
»Es tut mir Leid«, sagte er säuerlich. »Das wollte ich nicht.«
»Lügner«, entgegnete Abu Dun.
Andrej schüttelte den Kopf. »Nein, wirklich«, behauptete er. »Ich
habe nicht auf dein Knie gezielt. Eigentlich wollte ich etwas höher
treffen und ein Stück weiter links.«
Abu Dun verzog die Lippen zu einem freudlosen Grinsen, richtete
sich auf und straffte seine breiten Schultern.
»Gut, dass du so schlecht zielst, Hexenmeister«, sagte er. »Hättest
du getroffen, wäre anschließend vielleicht Julias heiliger Zorn über
dich gekommen.«
Andrej lächelte ebenso knapp, stemmte sich mühsam in die Höhe
und bückte sich, um sein Schwert aufzuheben. Sein Handgelenk war
mittlerweile verheilt, schmerzte aber immer noch so sehr, dass es ihn
zwei Versuche kostete, die Klinge in die lederne Scheide an seinem

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