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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Leder des Schwertgriffes spürte. Wahnsinn oder nicht - er konnte nicht tatenlos zusehen, wie dieser arme
Junge schlimmer geschunden wurde als ein Tier.
    »Chevalier - redet!«, fuhr der Offizier fort. »Er wird dem Jungen
den Daumen abschneiden. Er wird nie wieder ein Schwert halten
können. Bitte…!«
    Der Novize begann laut zu schluchzen, als der Janitschar den Druck
auf die Zange erhöhte. Blut quoll unter den scharf geschliffenen Backen des brutalen Folterwerkzeugs hervor. Andrej spannte sich.
    »Es ist die Bastion… der Kastilier…«, stammelte der Ordensnovize.
»Schweig!«, schrie La Revier mit sich überschlagender Stimme.
»Nein, Herr…«, schluchzte der Junge. Tränen liefen über sein Gesicht. Auf einen Wink des Offiziers hin zog der Janitschar seine Zange zurück und richtete sich auf, indes ohne den Kopf des Novizen
loszulassen. Er wirkte enttäuscht. »Die Bastion der Kastilier…«, fuhr
der Junge fort.
»Was ist damit?«, fragte der Offizier. La Revier wollte etwas sagen,
doch der Türke brachte ihn mit einer herrischen Geste zum Schweigen. Er ließ sich vor dem Novizen in die Hocke sinken. Auf seinem
Gesicht erschien ein ebenso teilnahmsvoller wie sanfter Ausdruck,
den man ihm allerdings nur dann hätte abnehmen können, wenn er
nicht soeben die übelste aller Foltern befohlen hätte - er ließ einen
Wehrlosen quälen, um von jemand anderem Informationen zu erpressen.
»Es… es tut mir Leid, Herr«, schluchzte der Novize. So wie der Janitschar ihn nun gepackt hielt, konnte Andrej sein Gesicht deutlich
erkennen. Es war blutüberströmt und zeigte die Spuren schwerer
Schläge und schlimmerer Misshandlungen. »Ich… ich kann das
nicht. Bitte, verzeiht mir, Herr. Tötet mich, wenn Ihr wollt, aber…
aber ich halte es nicht mehr aus.«
La Revier verzog verächtlich die Lippen und setzte erneut dazu an,
etwas zu sagen. Der Offizier versetzte ihm unbewegt einen Schlag
mit dem Handrücken, der seinen Kopf zurückwarf und seine Lippen
aufplatzen ließ.
In unverändertem Ton und mit einem fast väterlichen Lächeln fuhr
er an den Novizen gewandt fort: »Rede ruhig, mein Junge. Es ist kein
Zeichen von Feigheit, vor dem Schmerz zu kapitulieren.«
»Die Bastion der Kastilier«, wiederholte der Novize. »Sie… sie ist
mit den wenigsten Geschützen bestückt und… und auch der Graben
ist dort weniger tief. Sie… sie ist der schwächste Punkt unserer Verteidigungslinie.«
In seinem Versteck fünfzehn Fuß über dieser Szene runzelte Andrej
überrascht die Stirn. Das war eine glatte Lüge. La Valette kannte die
schwachen Punkte ihrer Verteidigung und hatte gerade die Bastion,
von der der Junge sprach, vor weniger als einer Woche mit einer
ganzen Batterie zusätzlicher Geschütze verstärken lassen.
Auch La Revier sah für einen Moment verwirrt aus, hatte sich aber
gottlob gleich wieder in der Gewalt.
Der türkische Offizier schien über die Worte des Jungen nachzudenken. Dann griff er unter sein Gewand, zog ein eng zusammengerolltes Pergament hervor, entfaltete es und wendete sich in der Hocke
nach rechts um, bis das Licht eines nahen Feuers die Buchstaben auf
dem Blatt ausreichend beleuchtete, damit er sie lesen konnte. Seine
Finger fuhren lange über das Pergament, doch schließlich nickte er -
anscheinend zufrieden - und gab dem Folterknecht einen Wink.
»Er spricht die Wahrheit. Was der Junge sagt, deckt sich mit den
Berichten unserer Späher. Verbindet seine Wunden.« Er stand auf
und rollte das Blatt wieder zusammen. »Für diese Nacht ist es genug.«
Der Novize brach mit einem erleichterten Wimmern zusammen, als
der Janitschar endlich sein Haar losließ.
La Revier maß ihn mit einem eisigen Blick und spie aus. »Möge
der Teufel deine Seele holen, du verdammter Verräter«, sagte er.
»Das Leben Hunderter deiner Brüder lastet auf deinem Gewissen.
Ich hoffe, du brennst auf ewig im Feuer der Hölle.«
Der Offizier drehte sich mit einem Seufzen zu ihm um und sagte
etwas, das Andrej nicht verstand. Behutsam zog er sich wieder ein
kleines Stück zurück. Er war unschlüssiger denn je, was er tun sollte.
Es war unmöglich, die beiden zu retten. Aber die Türken waren nicht
unbedingt für die Sanftmut bekannt, mit der sie ihre Gefangenen behandelten. Früher oder später würde der Offizier begreifen, dass ihm
der Novize bewusst die Unwahrheit gesagt und ihn damit möglicherweise dazu gebracht hatte, seine Truppen gegen einen vermeintlich schwachen Teil der

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