Der Gejagte
ausreichend, um die Johanniterfestungen auf der anderen
Seite der Insel zu erobern. Und das war nur ein Teil der Schiffe, die
Suleiman ausgeschickt hatte.
Nahe des Strandes entdeckte er ein besonders großes, prachtvolles
Schiff; vermutlich das des Kommandeurs. Dutzende von kleinen
Laternen, die an Reling und Masten angebracht waren, tauchten es in
fast taghelles Licht. An Deck schien ein Fest gefeiert zu werden. Gelächter und die Fetzen von Flöten- und Trommelspiel wehten über
das Wasser zu ihm herauf, Männer in weiten, bunten Röcken tanzten
zu einer aufpeitschenden Melodie auf dem Hauptdeck.
Andrej blieb eine geraume Weile reglos und mit angehaltenem Atem in der Dunkelheit liegen und blickte auf das bizarre Schauspiel
hinab. Er musste an das Gespräch zwischen La Valette und dem Ritter denken, dessen Zeuge er geworden war. Die Flottenbewegungen
vor der südlichen Küste waren tatsächlich nur eine Finte gewesen,
um die Verteidiger dazu zu verleiten, einen Teil ihrer Truppen nach
Mdina zu schicken, um den dort erwarteten Angriff abzuwehren.
Und diese Finte hatte ihren Zweck erfüllt.
Andrej schob sich ein Stückchen weiter nach vorne und erstarrte,
als sich unter seiner Hand ein Stein löste und mit einem lang anhaltenden Klicken und Kollern, das in der Dunkelheit übernatürlich weit
zu hören zu sein schien, in die Tiefe stürzte und schließlich mit einem Platschen im Wasser verschwand. Er widerstand der Versuchung, sich erschrocken umzusehen, lauschte aber konzentriert und
atmete erst nach einigen Augenblicken wieder auf. Niemand hatte
sein Missgeschick bemerkt. Die Männer, die hinter ihm Wache hielten, konzentrierten sich offensichtlich auf das Landesinnere. Außerdem mussten Lärm, Musik und Gelächter, die vom Schiff des Kommandeurs heraufwehten, jeden anderen Laut übertönen. Dennoch
nahm sich Andrej vor, vorsichtiger zu sein. Wenn man ihn dort entdeckte, war er in ernsthaften Schwierigkeiten. Er fürchtete sich nicht
davor, es mit ein paar Wachen oder schlimmstenfalls einer ganzen
Abteilung Janitscharen aufnehmen zu müssen, doch er konnte sich
kaum mit der gesamten türkischen Armee messen. Aber vielleicht
mit einem einzelnen Mann?
Andrej dachte ernsthaft über diese Möglichkeit nach. Niemand ahnte, dass er dort war. Er traute sich ohne weiteres zu, im Schutze der
Dunkelheit nicht nur unentdeckt bis zum Strand hinunter, sondern
auch an Bord des Schiffes zu gelangen. Die ausgelassene Stimmung
dort unten, die Musik und der Tanz würden ihm hinlänglich Schutz
bieten. Was, wenn er sich an Bord des Schiffes schlich und den obersten Befehlshaber der türkischen Flotte tötete oder - besser noch -
gefangen nahm?
Widerstrebend verwarf Andrej den Gedanken wieder. Seine Aussichten, unbemerkt an Bord des Schiffes zu kommen, waren nicht
einmal schlecht; die, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen, dafür
umso miserabler. Selbst wenn es ihm gelang, den Kommandeur der
türkischen Flotte ausfindig zu machen und zu überwältigen, konnte
er sich nicht ernsthaft einbilden, mit einem widerstrebenden oder
bestenfalls bewusstlosen Gefangenen die Klippe wieder hinauf, an
den Wachen vorbei und bis auf die andere Seite der Insel zu gelangen. Ihn zu töten kam nicht in Frage. Andrej hatte längst aufgehört
zu zählen, wie viele Männer er im Laufe seines Lebens getötet hatte -
und er hatte das düstere Gefühl, dass noch eine gehörige Menge dazukommen würde, bevor der Kampf um Malta vorbei war. Dennoch,
er war Krieger, und kein Attentäter oder Meuchelmörder.
Unversehens hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Andrej erstarrte und hielt den Atem an. Gleichzeitig lauschte er. Da war
nichts. Er hörte das leise Geräusch der Brandung, Musik, Gelächter
und Stimmengewirr, die vom Schiff heraufdrangen, und dann und
wann das entfernte Wiehern eines Pferdes oder gedämpften Hufschlag, doch keiner dieser Laute erscholl in seiner unmittelbaren Nähe. Er spürte auch nichts. Wenn der Dämon tatsächlich dort war und
ihn belauerte, dann vermochte sich das unheimliche Wesen perfekt
zu tarnen.
Es war nicht das erste Mal, dass er gegen ein Wesen seiner eigenen
Art antrat, auch nicht das erste Mal, dass er es mit einem Gegner zu
tun bekam, der ihm überlegen war, und doch hatte er noch niemals
eine solche… ja, es hatte keinen Sinn, es zu leugnen: Angst gehabt.
Das Bild des toten Jungen erschien erneut vor seinem inneren Auge
und ihm wurde klar, dass der Dämon sein Opfer keineswegs
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