Der gelbe Handschuh
südlich von Washington.“ Er legte sein Fernglas auf den Tisch und gab den Jungen die Hand. „Gute Reise, und im übrigen mache ich jetzt genau das, was ihr getan habt, während ich heute nacht hier auf dieser Brücke herumspaziert bin.“ An der Tür drehte er sich noch einmal um. „Aber keine Angst, es kann nichts passieren. Auf einem modernen Schiff funktioniert sowieso alles automatisch. Und eigentlich sind Kapitäne ganz überflüssige Luxusartikel. Gute Nacht.“
Der Luxusartikel zog den Kopf ein, weil die Türen für ihn zu niedrig waren, und verschwand in Richtung seiner Kabine.
„Der Kapitän hat die Brücke verlassen“, gab der Bootsmann durchs Telefon dem Maschinenraum bekannt. „Der Erste Offizier hat das Kommando übernommen.“
Der Wind trieb immer höhere Wellen vor sich her, die wie dunkle Täler und weiße Gebirge auf das Schiff zukamen. Aber die 20000 Tonnen Stahl der Europa pflügten sich sicher und ruhig ihren Weg. Vollgepackt mit Antriebs- und Kühlungsmaschinen, mit Boilern, Pumpen, Dynamos, Aggregaten, Turbinen, Öl, Ballasttanks, Stabilisatoren und mehr als zwanzig Kilometer Kabel.
Nachdem die drei Jungen erfahren hatten, daß der elektrische Kreiselkompaß zusammen mit der automatischen Steueranlage und dem Maschinentelegrafen so ziemlich die wichtigsten Instrumente auf der Brücke sind, verabschiedeten sie sich von den Offizieren und kletterten wieder in den Wind hinaus.
Um den Schlot herum turnten sie an den Rettungsbooten vorbei zur Achterreling.
Überall waren die Passagiere trotz des schlechten Wetters auf den Beinen und machten einen Morgenspaziergang. Aber daran waren die Stewards schuld, die auf dem ganzen Schiff verbreitet hatten, daß frische Luft das sicherste Mittel gegen Seekrankheit sei.
„Am besten, wir fangen ganz unten an“, schlug der Page Kannengießer vor, als sich im Lift die Tür hinter den drei Jungen geschlossen hatte.
Der große Fahrstuhl trug sie gemächlich am Sonnen — und am Verandadeck vorbei und tiefer in das Schiff hinein.
„Tut Ihnen dabei nicht das Trommelfell weh, Herr Kannengießer?“ fragte Ulli besorgt.
„Das Trommel...Nein. Wieso?“
„Weil euer Düsenlift dauernd die Schallmauer durchbricht.“
„Sehr witzig“, bemerkte der Junge mit der Stubsnase ein wenig beleidigt.
„Humor ist wohl nicht deine starke Seite?“ fragte Ulli.
„Du sollst dich nicht über das Schiff lustig machen“, brummte der Page aus dem Speisesaal.
„Also gut“, Ulli lenkte ein, „ich entschuldige mich.“
„Großzügig angenommen.“
Inzwischen waren sie im D-Deck angekommen und stiegen aus.
„Wir dürften jetzt so etwa vierzig Meter unter der Wasseroberfläche sein“, bemerkte der Page Kannengießer. Er trabte voraus durch den schmalen Korridor und erklärte dabei: „Da drüben sind die Öltanks, und rechts geht’s zur Sauna und zum Lazarett.“
Gleich darauf standen sie im Maschinenraum. Hier waren die Decken durchbrochen, weil die riesigen Kompressoren, Aggregate und Turbinen die Höhe von drei Decks brauchten. Auf den schmalen Niedergängen aus Stahl turnten die Matrosen an den Frischwasserpumpen und Schalttafeln vorbei. Es roch nach Öl. Es war heiß wie in einem Dampfbad. Und die Ventile an den Maschinen hämmerten so laut wie ein halbes Hundert Nähmaschinen, so daß man sein eigenes Wort nicht verstehen konnte. Aber alles glänzte und blitzte wie in einer gescheuerten Küche am Sonntagnachmittag.
An den Kabinen der Besatzung vorbei kletterten sie durch einen Korridor zum B-Deck. Und dort prallten sie beinahe mit Herrn Latenser zusammen. Wie aus dem Boden gewachsen stand er auf einmal vor ihnen. Für einen ganz kurzen Augenblick sah es so aus, als hätten ihm die drei Jungen durch ihr plötzliches Auftreten einen Schreck eingejagt. Aber dann lächelte er auch schon und sagte: „Was für eine angenehme Überraschung.“
„Haben Sie sich verlaufen?“ fragte der Page Kannengießer höflich.
„Ja, ich bin verlorengegangen“, antwortete der Mann mit den dicken Brillengläsern und lachte herzlich. „Hier unten gibt es wohl keine Bar oder so was Ähnliches?“ Dabei zwinkerte er vergnügt mit dem linken Auge.
„Auf diesem Deck sind nur die Tiefkühlräume für die Küche und die Lager für den Oberzahlmeister“, sagte Axel. „Es tut mir leid, aber eine Bar finden Sie hier unten bestimmt nicht.“
„Hab’ ich mir beinahe schon gedacht, ziemlich trockene Gegend“, kicherte Herr Latenser. „Da sause ich am besten ganz
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