Der gelbe Handschuh
Zuckerrohrfelder und vorbei an übermannshohen Kakteen, die grau und ausgetrocknet waren. Manchmal lagen magere Ziegen in ihrem Schatten. Die beiden Berliner Familien und ihre Gäste hatten sich heute selbständig gemacht, weil der flachsblonde Page aus dem Speisesaal versprochen hatte, sie zum schönsten Strand der Insel zu lotsen.
„Vielleicht ist es überhaupt der schönste Strand in der ganzen Karibik“, sagte Axel Kannengießer. „Sand wie Kristallzucker und das Meer so blau wie Tinte.“
So war es denn auch.
Das Meer war tatsächlich tiefblau, und der Sand war schneeweiß. Ein dichter Palmenwald ging bis zum Ufer. Bunte Orchideen wucherten wie Pilze. Kleine schwarze Jungen kletterten wie Affen zu den Kokosnüssen hinauf, und Kolibris flatterten auf, wenn sie zu nah kamen. Dahinter auf den Hügeln war das Grün bei den Kaffeeplantagen dunkler und das bei den Tabakfarmen heller. Die Sonne zeigte sich von ihrer besten Seite, und die Wolken hatten wieder einmal große Ferien.
„Die Einwohner von Barbados behaupten, daß der Regenbogen von ihrer Insel seine Farben hat“, meinte der Apotheker Finkbeiner. Er lag jetzt schon eine ganze Weile in der Badehose neben den anderen unter einem Sonnendach aus Palmenblättern, blickte von seinem Liegestuhl in die Brandung und rauchte dabei eine Zigarre.
„Ein hübscher Gedanke“, sagte Herr Wagner. „Der Regenbogen spaziert über die Insel und sucht sich seine Farben zusammen.“
Sie spürten durch das Palmendach die Sonnenflecke auf ihrer Haut und versuchten sich das vorzustellen.
„Mein Gott, kann die Welt schön sein“, wollte Frau Finkbeiner wieder einmal sagen. Aber dann dachte sie es nur, weil ihr noch rechtzeitig einfiel, daß sich auch Worte abnutzen wie Zahnbürsten oder Schuhsohlen.
„Haben Sie schon das alte Schloß dort drüben entdeckt?“ fragte plötzlich eine Stimme, und gleichzeitig fiel ein Schatten über die Füße von Ronny und Peter Finkbeiner.
Der Schatten und die Stimme gehörten dem Autohändler Latenser. Er hatte seine Strümpfe und Schuhe ausgezogen und seine Hosenbeine hochgeschlagen. Auf dem Kopf trug er einen Strohhut, so daß man nicht sehen konnte, ob seine Beule von gestern abend schon wieder verschwunden war.
„Hoffentlich störe ich nicht?“ fragte der Mann in seinem altmodischen dunklen Anzug.
„Sie sind dieses Mal nicht an Bord geblieben?“ fragte der flachsblonde Page aus dem Speisesaal zurück.
„Heute haben mir die Umstände einen kleinen Ausflug gestattet“, kicherte Herr Latenser.
„Das freut mich für Sie“, erwiderte Frau Finkbeiner höflich.
„Und was ist mit dem alten Schloß da drüben?“ fragte jetzt Ulli Wagner.
„Es ist vor ein paar hundert Jahren von Sam Lord erbaut worden“, erzählte Herr Latenser. „Und Mister Sam war damals ein berüchtigter Seeräuber.“
„Sehr interessant“, bemerkte Herr Finkbeiner und ließ dabei ein paar Rauchringe in die Luft klettern.
„Wenn es Abend wurde“, berichtete der Mann mit den dicken Brillengläsern weiter, „hängte er mit seinen Sklaven ein paar Dutzend Laternen in die Bäume. Jetzt meinten die Schiffe, daß sie die Hafenstadt Bridgetown vor sich hätten, setzten volle Segel und nahmen geraden Kurs. So liefen sie direkt auf die Felsen, wo Mister Sam mit seinen Leuten nur die Beute einzusammeln brauchte. Gefangene soll er nicht gemacht haben.“
Im Augenblick lag das alte Schloß wie ein Scherenschnitt im Gegenlicht. Die Brandung schlug gegen die Felsen und zog sich immer wieder schäumend ins Meer zurück.
„Noch einen schönen Tag“, wünschte Herr Latenser. „Und besten Dank für Ihre Geschichte“, meinte Frau Finkbeiner. „Auch wenn sie ein bißchen grausam war.“
„Andere Länder, andere Sitten.“ Herr Latenser blinzelte vergnügt durch seine dicken Brillengläser, lüftete seinen Hut und stapfte dann durch den Sand davon.
„Ein komischer Vogel“, sagte Peter Finkbeiner nach einer Weile.
„Aber eigentlich ganz sympathisch“, stellte Frau Finkbeiner fest.
„Irgend etwas stimmt nicht bei ihm“, widersprach der Junge mit dem Bürstenhaarschnitt und der knallbunten Badehose. „Aber ich weiß nicht, was.“
„Wenn ich mir überlege, welche Personen etwas mit dem Verschwinden der Mona Lisa zu tun haben könnten“, sagte der Apotheker Finkbeiner nachdenklich, während ihn der Rauch seiner Zigarre einhüllte. „Möglicherweise käme dieser Herr Latenser dafür in Frage.“
„Und ich tippe auf den Kapitän“, warf Frau
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