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Der gelbe Tod

Titel: Der gelbe Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert W. Chambers
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es.
    Geneviève war wunderschön. Die madonnenhafte Reinheit ihres Gesichts hätte vom Sanktus aus Gounods Messe beseelt sein können. Aber ich war immer froh, wenn diese Stimmung von ihren ›Aprilmanövern‹, wie wir es nannten, abgelöst wurden. Sie war oft wechselhaft wie ein Apriltag. In der Morgenandacht würdevoll und lieblich, mittags fröhlich und ausgelassen, abends so, wie man sie am wenigsten erwartete. So war sie mir lieber als in ihrer madonnenhaften Ruhe, die das tiefste Innere meines Herzens aufwühlte. Ich träumte von Geneviève, als er wieder zu sprechen begann.
    »Was hältst du von meiner Entdeckung, Alec?«
    »Ich finde sie großartig.«
    »Weißt du, ich werde keinen weiteren Gebrauch davon machen, als daß ich meine Neugier so weit wie möglich befriedige, und das Geheimnis wird mit mir sterben.«
    »Es wäre ein ziemlicher Schlag für die Bildhauerei, nicht wahr? Wir Maler verlieren durch die Photographie mehr, als wir jemals gewinnen werden.«
    Boris spielte mit der Kante des Meißels und nickte.
    »Diese neue, gefährliche Entdeckung würde die Kunstwelt korrumpieren. Nein, niemals werde ich das Geheimnis jemandem anvertrauen«, sagte er langsam.
    Es gab sicher kaum einen, der weniger über derartige Phänomene wußte als ich, aber ich hatte natürlich von Mineralquellen gehört, die so übersättigt waren mit Kieselsäure, daß Blätter und Zweige, die hineinfielen, nach und nach zu Stein wurden. Ich hatte eine vage Vorstellung von dem Vorgang, auf welche Weise die Kieselsäure die pflanzliche Materie Atom für Atom austauschte, und das Ergebnis war ein steinernes Abbild des Gegenstandes. Ich muß gestehen, daß mich das nie besonders interessiert hatte, und was die vorzeitlichen Fossilien betraf, die so entstanden waren, sie widerten mich an. Boris, der, wie es schien, keine Abscheu sondern Neugier empfand, war der Sache nachgegangen und zufällig auf eine Lösung gestoßen, die den eingetauchten Gegenstand mit ungeahnter Gewalt angriff und in Sekundenschnelle das Werk von Jahren vollbrachte. Das war alles, was ich mir aus der seltsamen Geschichte, die er soeben erzählt hatte, zusammenreimen konnte. Nach einem langen Schweigen ergriff er wieder das Wort.
    »Mir wird fast bange, wenn ich daran denke,was ich gefunden habe. Wissenschaftler würden den Verstand verlieren über die Entdeckung. Und dabei war es so einfach: es entdeckte sich selbst. Wenn ich an diese Formel denke und das neue Element, das sich in metallischen Ablagerungen niederschlägt –«
    »Welches neue Element?«
    »Ich hatte nicht die Absicht, es beim Namen zu nennen, und ich glaube nicht, daß ich es jemals tun werde. Es gibt schon genügend wertvolle Metalle, um derentwillen sich die Menschen gegenseitig die Köpfe einschlagen.«
    Ich horchte auf. »Bist du auf Gold gestoßen, Boris?«
    »Nein, besser, – aber schau her, Alec!« lachte er und sprang auf. »Du und ich, wir haben alles, was wir auf der Welt brauchen. Ach, wie finster und begierig du bereits aussiehst!« Ich lachte auch und sagte ihm, daß ich besessen sei von dem Verlangen nach Gold und daß wir besser daran täten, von etwas anderem zu reden. Als daher Geneviève kurz darauf eintrat, hatten wir der Alchimie den Rücken gekehrt.
    Geneviève war von Kopf bis Fuß in Silbergrau gekleidet. Das Licht schimmerte auf den weichen Wellen ihres blonden Haares, als sie Boris die Wange bot. Dann bemerkte sie mich und erwiderte meinen Gruß. Sie hatte vorher nie versäumt, mir einen Kuß von ihren weißen Fingerspitzen zuzuwerfen, und ich beklagte mich auf der Stelle über das Versäumnis. Sie lächelte und reichte mir ihre Hand, die fast heruntersank, bevor sie meine berührt hatte. Dann sagte sie, indem sie Boris ansah:
    »Du mußt Alec bitten, zum Essen zu bleiben.« Auch das war etwas Neues. Bis zum heutigen Tag hatte sie mich stets selbst gebeten.
    »Schon geschehen«, sagte Boris kurz.
    »Und du hast hoffentlich zugesagt«, wandte sie sich mit einem nichtssagenden Lächeln an mich. Ich hätte eine flüchtige Bekanntschaft von vorgestern sein können. Ich machte eine knappe Verbeugung. »J’avais bien l’honneur, madame«, aber sie ging nicht auf unseren gewohnten neckenden Ton ein, sondern murmelte einen höflichen Gemeinplatz und verschwand. Boris und ich sahen uns an.
    »Ich sollte wohl besser gehen, meinst du nicht?« fragte ich.
    »Ich will verdammt sein, wenn ich das weiß!« antwortete er ehrlich.
    Während wir die Zweckmäßigkeit meines Aufbruchs

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