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Der gelbe Tod

Titel: Der gelbe Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert W. Chambers
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diskutierten, erschien Geneviève ohne ihr Hütchen wieder an der Tür. Sie war wunderschön, aber ihre Gesichtsfarbe war zu dunkel und ihre lieblichen Augen zu glänzend. Sie kam direkt auf mich zu und nahm meinen Arm.
    »Das Mittagessen ist fertig. War ich mißgelaunt, Alec? Ich dachte, ich hätte Kopfschmerzen, aber ich habe keine. Komm, Boris«, damit hakte sie sich mit ihrem freien Arm bei ihm unter, »Alec weiß, daß es außer dir keinen Menschen auf der Welt gibt, den ich lieber mag als ihn, also wird es ihn nicht treffen, wenn er sich manchmal ungerecht behandelt fühlt.«
    »A la bonheur!« rief ich. »Wer sagt, daß es im April keine Gewitter gibt?«
    »Bist du soweit?« trällerte Boris. »Ay ay, fertig«, damit stürmten wir Arm in Arm zum Eßzimmer, vorbei an den schockierten Dienstboten. Man konnte uns schließlich keinen großen Vorwurf daraus machen; Geneviève war achtzehn, Boris war dreiundzwanzig und ich noch nicht ganz einundzwanzig.
    II
    Ich arbeitete zu dieser Zeit an der Dekoration für Genevieves Boudoir und hielt mich daher ständig in dem vertrauten kleinen Hotel in der Rue Saint-Cécile auf. Boris und ich arbeiteten in jenen Tagen hart, aber nach unserem Geschmack, daß heißt, unregelmäßig, und wir gaben uns alle drei, zusammen mit Jack Scott, oft genug dem Nichtstun hin.
    Eines ruhigen Nachmittages war ich allein durchs Haus gestreift, hatte Raritäten begutachtet, meine Nase in heimliche Winkel gesteckt, Naschwerk und Zigarren aus seltsamen Verstecken hervorgeholt und war endlich im Badezimmer angelangt. Boris stand, über und über mit Ton verschmiert, da und wusch sich die Hände.
    Der Raum war aus rosafarbenem Marmor, mit Ausnahme des Fußbodens, der aus rosa und grauem Mosaik bestand. In der Mitte war ein quadratisches Becken in den Boden eingelassen. Stufen führten hinunter, eine freskenverzierte Decke wurde von behauenen Säulen getragen. Ein herrlicher Cupido aus Marmor schien sich gerade eben auf seinem Podest am oberen Ende des Raumes niedergelassen zu haben. Die gesamte Einrichtung war Boris’ und mein Werk. Boris, in seinem Arbeitsanzug aus weißem Drillich, kratzte die Reste von Ton und rotem Modellierwachs von seinen hübschen Händen und kokettierte über die Schulter mit dem Cupido.
    »Ich sehe dich«, betonte er, »schau nicht in die andere Richtung und tu so, als sähest du mich nicht. Du weißt, wer dich gemacht hat, kleiner Nichtsnutz!«
    Ich hatte immer die Aufgabe, Cupidos Gefühlen in diesen Unterhaltungen Ausdruck zu geben, und als ich an der Reihe war, antwortete ich in einer Weise, daß Boris mich am Arm packte und zum Becken drückte und erklärte, er werde mich untertauchen. Im nächsten Augenblick ließ er meinen Arm los und wurde fahl. »Großer Gott!« sagte er. »Ich vergaß, daß das Becken mit der Lösung gefüllt ist!«
    Ich erschauerte leicht und riet ihm trocken, sich besser zu merken, wo er die kostbare Lösung aufbewahrte.
    »Warum in Gottes Namen hast du einen kleinen See dieses scheußlichen Zeugs ausgerechnet hier?« fragte ich.
    »Ich möchte mit etwas Größerem experimentieren«, erwiederte er.
    »Mit mir zum Beispiel!«
    »Das war zu nahe daran, um darüber Witze zu machen. Aber ich möchte die Wirkungsweise der Lösung an einem höher entwickelten Lebewesen beobachten. Ich habe hier dieses große weiße Kaninchen«, sagte er und folgte mir ins Atelier.
    Jack Scott kam in seiner farbbeklecksten Jacke hereinspaziert, raffte alle orientalischen Süßigkeiten, derer er habhaft werden konnte, an sich, plünderte die Zigarettendose und verschwand schließlich mit Boris, um der Luxemburg-Galerie einen Besuch abzustatten, wo eine Silberbronze von Rodin und eine Landschaft von Monet die ausschließliche Aufmerksamkeit des kunstbeflissenen Frankreich für sich in Anspruch nahmen. Ich ging zurück zum Atelier und nahm meine Arbeit wieder auf. Auf Boris’ Wunsch bemalte ich einen Renaissanceofenschirm für Genevièves Boudoir. Aber der kleine Junge, der widerstrebend und unwillig eine Reihe von Posen dafür einnahm, lehnte heute alle Bestechungsgeschenke ab, die ich ihm bot, damit er still saß. Er blieb keinen Augenblick lang in derselben Position, und in fünf Minuten hatte ich ebenso viele Umrisse des kleinen Halunken.
    »Posierst du, oder führst du Gesang und Tanz vor, mein Freund?« fragte ich.
    »Was immer der Herr wünschen«, erwiderte er mit engelsgleichem Lächeln.
    Natürlich ließ ich ihn für diesen Tag laufen, und natürlich zahlte

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