Der Geliebte der Königsbraut: Historischer Roman (German Edition)
zum Ausgang des Hofs, wo eine alte Frau aufgetaucht war. Das musste die Vettel sein, von der die beiden gesprochen hatten. Seine Sklavin, die einzige erwachsene Frau unter seinen Leibeigenen, die für die anderen den Haushalt führte. Sie war hochgewachsen und hielt sich sehr aufrecht, aber die straffe Haltung konnte nicht über das Alter hinwegtäuschen. Das Haar war eine graue Masse, die zu einem unordentlichen Zopf geflochten war. Tiefe Furchen durchzogen ihr Gesicht, und der eingefallene Mund verriet, dass sie nicht mehr viele Zähne hatte. Eine Frau am Ende der Lebensspanne, die man für Christenmenschen noch für natürlich halten konnte.
„Ist die Herrin jetzt da?“, nuschelte die Alte und presste die Lippen aufeinander. Etwas zerrte von hinten an ihrem Rock.
„Heute Mittag, bis dahin musst du dich gedulden“, sagte Alexander und erhob sich von seinem Marmorstumpf. „Wo sind die anderen? Und was ist mit dem Vieh? Haben sie es zusammengetrieben?“, fragte er streng.
Die Alte zuckte nur die Schultern. Eine kleine Hand erschien und zog energisch an ihrem Gewand. Die Frau langte hinter sich und zischte etwas.
„Komm her!“, forderte Wittiges gebieterisch.
Statt seiner Aufforderung zu folgen, schob sich die Alte rückwärts.
„Wird’s bald!“, schrie Wittiges und lockerte den Griff seines Messers.
Erschrocken machte die Frau ein paar Schritte nach vorn.
„Wie heißt du?“, fuhr er die Alte an. „Und wer ist das hinter dir?“
Ein Kopf lugte hervor.
„Barchild“, murmelte die Alte. „Ich bin Barchild. Wollt ihr Käse? Ich hab gestern welchen gemacht.“
Wittiges sprang über das Wasserbecken und griff, sobald er die Frau erreicht hatte, nach dem Kind hinter ihr. Die Alte keuchte entsetzt auf, versuchte ihn abzuwehren, aber da hatte er das Kind schon am Arm gefasst und ließ es erst los, als es vor ihm stand. Höchstens fünf oder sechs Jahre alt, mutmaßte er, ein Mädchen mit aufgeschrammten Knien, braunem Wuschelhaar und unbeschreiblich schmutzigem Gesicht. Aber aus diesem Gesicht leuchteten große Augen in tiefem, strahlendem Blau. Die schönsten Augen, die er je gesehen hatte.
„Und das hier ist wer?“, fragte er überrascht.
„Niemand“, brummte die Alte und versuchte, sich wieder vor das Kind zu schieben. Wittiges hielt sie mit einer Hand auf, und gab ihr einen Schubs, sodass sie zurücktaumelte. Das Kind musste die von Pontus erwähnte Enkelin sein. Aber warum stellte sich die Alte so störrisch an und antwortete nicht ehrlich auf seine Fragen?
Wittiges beugte sich zu dem Kind hinab. „Wie heißt du?“, fragte er freundlich.
Die Kleine steckte einen Finger in ein Nasenloch und sah ihn seelenvoll an. „Göre“, nuschelte sie.
„Göre?“
Die Kleine nickte und popelte weiter, Wittiges unterdrückte den Impuls, ihr auf die Hand zu schlagen. Stattdessen legte er ihr in einer väterlichen Geste eine Hand auf den Kopf und bog ihn leicht nach hinten, bis ihn das Kind anschauen musste.
„Sagt sie nur Göre zu dir? Das ist nämlich kein Name.“
„Sie hat keinen“, mischte sich die Alte ein. „Ich hab gesagt, sie ist niemand. Sie ist Dreck. Nur Dreck.“
Langsam wandte sich Wittiges zu der Frau um und entdeckte verwundert Panik in den Augen der Alten.
„Sie ist kein Dreck, und du sprichst nie wieder so abfällig über sie, oder du suchst dir woanders eine Bleibe“, herrschte er sie an. Die Alte fände nirgendwo ein Unterkommen, es sei denn, ein Priester trüge sie in die Matrikel seiner Kirche ein, in die Armenliste, und nähme sie als Kostgängerin auf.
„Und du“, wandte er sich an die Kleine, „heißt von nun an Viola. Gefällt dir der Name?“, fragte er weich.
Träumend sah die Kleine zu ihm auf und nahm den Finger aus der Nase. „Viola“, wiederholte sie leise, als müsse sie erst den Klang des Namens prüfen, dann lächelte sie verschmitzt. „Heiß ich jetzt immer so?“
Das Kind hatte ein liebliches Stimmchen und gefiel Wittiges immer besser. „Ja, so heißt du jetzt. Vorausgesetzt, du wäschst dir das Gesicht und kämmst dir die Haare, hörst du? Ein Schmutzfink kann nicht Viola heißen.“
Fragend wandte sich Viola an die Großmutter. Barchild zitterte. „Können wir jetzt gehen? Soll ich dir den Käse bringen?“, fragte sie, packte ihre Enkelin am Arm und schob sie hinter sich, als sei sie schon viel zu lange fremden Blicken ausgesetzt.
„Du bringst sie heute mittag gewaschen und gekämmt hierher“, befahl Wittiges der Alten. „Und etwas
Weitere Kostenlose Bücher