Der Geliebte der Königsbraut: Historischer Roman (German Edition)
ihre Seele. Die Schreckensnachricht vom Tod ihrer Schwester hatte sie vor einigen Wochen erreicht. Laut einem offiziellen Bericht war Gailswintha Opfer eines Unfalls geworden, laut einem sehr hartnäckigen und nicht auszurottenden Gerücht hatte sie aus schierer Verzweiflung Selbstmord begangen. Die Geschichte vom Unfall war eine Erfindung, mit der Chilperich seine Verwandtschaft und vor allem Brunichild als die Hauptleidtragende beruhigen wollte, vermuteten viele. Er hatte ein Schreiben verfasst und per Boten geschickt, in welchem er seine tiefe Trauer über den furchtbaren Verlust zum Ausdruck brachte und – das war der größte Hohn! – sich der Nachlässigkeit und mangelnden Fürsorge bezichtigte, weil er den schrecklichen Unfall nicht hatte verhindern können. Den Sturz durch ein morsches Fenstergitter in einen tiefen, mit Geröll angefüllten Graben.
Brunichild wollte die Wahrheit wissen, nicht eher würde sie Ruhe finden. Eine Woche nach dem Brief traf eine Nachricht ein, die sie fast ebenso verstörte: Chilperich hatte Fredegund geheiratet. Einen Tag nach Gailswinthas Beisetzung, sozusagen am frischen Grab, hatte er sie zu seiner Königin erhoben.
Die Hure war Königin geworden! Jede wortreiche Wendung Chilperichs über Trauer und Verlust erwies sich damit als faustdicke Lüge.
Hatte sie Chilperichs Werbung um Gailswintha noch als verstecktes Kompliment verstanden, als Zeichen, dass er in der Schwester ihr Ebenbild sah, so war die Hochzeit mit Fredegund ein Schlag ins Gesicht. Eine Demütigung. Nicht hinnehmbar, unverzeihlich. Der Wunsch nach Rache, nach Vergeltung, nach Bestrafung des betrügerischen Paars verfolgte sie bis in die Träume hinein.
Nur wenn sie ihre kleine Tochter in den Armen hielt, die nach Sigiberts Mutter auf den Namen Ingund getauft worden war, ließ für kurze Zeit die Qual in ihrem Innern nach. Das lebendige Kind vermochte die Erinnerung an das tot geborene zu verdrängen, und Brunichild war dankbar für diesen Gunstbeweis des Himmels. Sigibert hatte seine Enttäuschung halbwegs überwunden und mit der Hoffnung auf weitere Kinder Gefallen an der Tochter gefunden. Nur sah er sie kaum.
Er war an der Spitze einer rasch aufgestellten Kriegerschar von Reims aus in Chilperichs Hoheitsgebiet eingefallen, hatte einige seiner ertragreichsten Krongüter erobert und Soissons eingekreist.
Mit einem so baldigen Angriff hatte Chilperich nicht gerechnet. Seine Truppen standen inzwischen vor Tours. Damit war der Frieden vorbei, und alle mühsam ausgehandelten Verträge über die Erbteilung galten nichts mehr. Sigibert hatte Wittiges nach Lyon geschickt, um Guntram zu benachrichtigen und hoffte auf dessen Unterstützung im Kampf gegen Chilperich. Ganz klar hatte dieser die Verträge als Erster gebrochen. Sigibert setzte sich durch seinen Einmarsch in Neustrien nur zur Wehr.
In Abwesenheit des Königs empfing Gogo die Boten jetzt oft allein, und meistens gesellte sich Brunichild dazu, um die Nachrichten aus erster Hand zu erfahren. Deshalb begab sie sich sofort ins Empfangszimmer, sobald ihr ein Diener Wittiges’ Rückkehr aus dem Süden mitgeteilt hatte.
Gogo war noch nicht da, und so wollte sie die Gelegenheit nutzen, um Wittiges auszufragen. Es gab noch so viel, was sie in Erfahrung bringen musste. Zum Beispiel, wie lange schon das Verhältnis zwischen Chilperich und Fredegund bestand. Erst kürzlich hatte sie Aletha die Einzelheiten ihrer letzten Begegnung mit Fredegund, deren Tochter und der Entlarvung Chilperichs als Vater des kleinen Bastards entlockt.
Wittiges war von der Reise erschöpft, sah aber sehr gut aus. Seine Gestalt war stattlicher geworden, er hatte das Auftreten eines erwachsenen Mannes im Vollbesitz seiner Kräfte. Eine besondere Aura umgab ihn, und junge wie alte Hofdamen umschwärmten ihn, sobald er erschien. Kaum war er eingetreten, nahm seine Miene einen wachsamen Ausdruck an. Sicher hatte er nicht damit gerechnet, sie allein anzutreffen. Das belustigte sie und lenkte sie kurzfristig von der Frage ab, wie sie jetzt das Gespräch am schnellsten auf Gailswintha lenken konnte.
„Kommst du geradewegs aus Lyon?“, fragte sie unverfänglich. Zwei Diener traten mit Erfrischungen ein. Geistesabwesend nahm Wittiges ein angefeuchtetes Tuch und wischte sich das Gesicht damit ab. Als er die Arme sinken ließ, eilte Gogo herein und winkte die Diener mit einer herrischen Geste hinaus.
„Was sagt Guntram?“, erkundigte sich Gogo ohne große Vorrede.
„Er ist besorgt“,
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