Der Geliebte der Königsbraut: Historischer Roman (German Edition)
abgenommen. Er achtete auch nicht sonderlich auf die Leute, und gerade deshalb war er sich keineswegs sicher, dass der Mann, den er auf der anderen Seite einer Wiese erspähte, Priscus und sein Begleiter Ingomer war, beide zu Pferd, beide eilig. Wittiges ritt weiter und tat seine Wahrnehmung als Irrtum ab. Ingomer war sicher gerade bei Sigibert, der ihn abkanzelte, bevor er ihn umgehend in die Provinz zurückschickte.
Hinter Reims holte er ein kleines Fuhrwerk ein, das von einem Maultier gezogen wurde, begleitet von zwei Sklaven. Zu seinem Erstaunen gehörten sie zu seinem Gut. Als sie ihn erkannten, grüßten sie ihn ehrerbietig, und er ritt im Schritt eine Weile neben ihnen her und fragte, was sie in der Stadt zu tun gehabt hatten. Wie er erfuhr, hatten sie Gemüse und Obst auf dem Markt verkauft. Obst und Gemüse von seinem Land! Es erfüllte ihn mit Stolz, als sie ihm die eingenommenen Münzen aushändigten. Dieses Geld freute ihn weit mehr als all jenes, das ihm der Purpur- und Edelsteinhandel einbrachte. Dieses hier erschien ihm ehrlicher verdient. Voller Dankbarkeit schenkte er den beiden Sklaven je eine Münze und ritt endlich in scharfem Trab weiter. Mein Gut bringt etwas ein!, jubelte er im Stillen. Jetzt erst wusste er es richtig zu schätzen.
Als er in den Stallhof einritt, fand er ihn leer. Auch das Haus schien verlassen. Beunruhigt ließ er Bauto gesattelt und führte ihn lediglich zum Brunnen, bevor er weiterhastete. Erst als er laut rief und in die Hände klatschte, kam ein Mädchen herbeigerannt. „Wo sind denn die anderen?“, fragte er.
„Die Kinder suchen“, antwortete die Magd.
„Welche Kinder?“ Er hielt das Mädchen, das weiterlaufen wollte, am Ärmel fest. Es blieb stehen, die Augen vor Schreck geweitet. „Felix“, stammelte es, „Felix und Viola. Sie sind seit heute Nachmittag verschwunden.“
Jetzt erschrak er ebenfalls. „Felix und Viola?“, wiederholte er töricht. „Wo ist die Herrin?“
„Sie wollte ins Dorf. Ich muss ihr nach.“ Das Mädchen hatte einen Umhang über dem Arm und eine Fackel in der Hand.
„Gib mir die Fackel und den Umhang. Wer beteiligt sich an der Suche?“ Die waffenfähigen Männer hatten Sigibert in den Feldzug begleitet. Nur die zum Kämpfen zu alten, die kranken und die Knaben unter dreizehn waren daheim geblieben. Wer war überhaupt noch da außer den Sklaven?
„Eigentlich alle.“ Das Mädchen begann zu weinen. „Die Leute in den zwei Dörfern sind verständigt. Pontus ist zu Theodos Hof hinübergeritten, um zu fragen, ob wir von dort Hilfe erhalten. Cniva ist unten im Schmiededorf, um auch die letzten für die Suche zusammenzurufen.“ Der Blick des Mädchens schweifte zum Himmel. Es wurde dunkel.
„Warte hier auf die beiden Sklaven, die mit dem Karren vom Markt kommen, schick sie hinter mir her und gib ihnen alle Fackeln mit, die du auftreiben kannst. Ich reite ins Dorf und suche Pontus, Alexander und Cniva.“
Wittiges machte kehrt und rannte in den Stallhof zurück. Und dort stürzte ihm Aletha entgegen.
„Ich weiß Bescheid“, sagte er knapp, „und mache mich ebenfalls auf die Suche. Aber vorher beantworte mir eine Frage: Wie konnten die beiden verschwinden?“
„Wir wissen es nicht“, stieß Aletha hervor. „Viola war immer so zuverlässig. Wenn sie auf Felix achtgab, brauchten wir uns nie Sorgen zu machen. Einmal allerdings sind sie auf dem Weg ins Dorf hinunter von einer der Sklavinnen abgefangen worden. Danach habe ich Viola streng verboten, sich mit Felix weiter als einen Steinwurf vom Haus zu entfernen. Wittiges, ich habe solche Angst! Felix ist doch noch so klein.“ Sie warf sich in seine Arme.
„Ich finde ihn, und wenn ich die ganze Nacht suchen muss. Habt ihr im Haus nachgesehen? Im Keller und in den Gebäudeteilen, die wir nicht benutzen? In Scheunen, Ställen, Grubenhäusern?“ Die Grubenhäuser, die halb in die Erde eingelassen waren und meist noch ein Kellergeschoss unter dem Holzfußboden hatten, boten ideale Verstecke für ein phantasiebegabtes und abenteuerlustiges Kind. Aber war Felix für solche Spiele nicht noch zu klein? Er war flink auf den Füßen, und sein Bewegungsdrang kannte kaum Grenzen. Und er war von unersättlicher Neugier erfüllt, das wusste Wittiges.
„Überall, Wittiges, mehrmals, wir haben das Haus noch nie so gründlich durchstöbert wie heute“, sagte Aletha verzweifelt.
Forschend blickte er sie an und erkannte etwas, was ihr selbst nicht bewusst war: Sie liebte ihr Kind! Auf
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