Der Geliebte der Königsbraut: Historischer Roman (German Edition)
ihm. Ein Mann von etwa dreißig Jahren, klein, schmächtig, mit kurzem, schwarzem Haar und ungewöhnlich lebhaften Augen. Das musste dieser Venantius sein.
Einmal fing Brunichild einen forschenden Blick von ihm auf, und sie hatte den Eindruck, dass gerade von ihr die Rede war. Es kränkte sie, so offensichtlich Gegenstand der Unterhaltung zu sein.
Um dem Familientrubel wenigstens ab und an zu entgehen, suchte sie immer wieder das ummauerte Gärtchen mit der Rosenlaube auf. Und dort traf sie schließlich doch noch einmal auf Chilperich. Sobald sie ihn sah, wusste sie, dass die Hoffnung auf eine zweite Begegnung ohne Zeugen sie hierhergetrieben hatte. Sie wollte ihn wiedersehen, um das Gefühl auszuloten, das er in ihr geweckt hatte und das sich nicht ablegen ließ wie ein unpassendes Gewand. Als er auf sie zuschlenderte, beschleunigte sich ihr Herzschlag.
„Wie schön, dass es in diesem Haus so viele aufmerksame Bewohner gibt“, sagte er schmunzelnd, „die mir bereitwillig mitteilen, was ich wissen will. Ich hätte nicht gedacht, dass du die Einsamkeit liebst.“
„Eine willkommene Abwechslung. Außerdem habe ich zu Mittag so viel gegessen, dass ich Bewegung brauche.“ Wie konnte sie nur so etwas Unelegantes sagen? Aber es war die reine Wahrheit. Bei jeder Mahlzeit wurden Unmengen aufgetragen, und alle aßen so viel, bis sich die Bäuche spannten. Es ging geradezu ein Esszwang von dieser Tischgesellschaft aus, dem sie sich nur schwer entziehen konnte.
Lachend schlug sich Chilperich auf den Bauch. „Mir geht es genauso. Vielleicht sollten wir zusammen ausreiten.“
„O ja!“, rief Brunichild entzückt. Sie kam viel zu wenig dazu.
Wie selbstverständlich legte er den Arm um sie und betrachtete sie prüfend an. „Ich erkenne die Spuren fortgesetzter Langeweile und Ermüdung durch Untätigkeit. Deine Augen zeigten schon mehr Glanz.“
Betroffen versuchte sie, sich loszumachen. „Sehe ich schlecht aus?“
Sein Mund streifte ihre Wange. „Nein, nein, entschuldige, ich hab mich ungeschickt ausgedrückt. Ich denke nur, du bist auf einmal zu viel Familie ausgesetzt, die noch nicht so recht die deine ist.“
„Mag sein“, bekannte sie vorsichtig. Sein Duft machte sie schwindlig. Ein männlicher Duft nach Schweiß, Leder, Rauch und Salbölen, eine betörende Mischung, die sie gierig einsog. Sie lehnte sich an ihn, wollte sich von diesem Duft einhüllen lassen. Seine Hand fuhr ihr durchs Haar.
„Wahrhaft Goldhaar! Wie zauberhaft.“
Unter größter Anstrengung rückte sie von ihm ab. „Ein Familienerbe“, murmelte sie töricht und ärgerte sich erneut. In seiner Gegenwart wurde sie zu einem Schaf, und ihre sonstige Kaltblütigkeit und Schlagfertigkeit kamen ihr abhanden.
„So?“ Sein Finger hob ihr Kinn an. „Du vermisst deine Familie?“
Sie nickte stumm.
„Das verstehe ich gut“, murmelte er und führte sie tiefer in den Garten hinein. „Es ist sicher schwer für dich, diesen Verlust auszuhalten. Aber du musst eins wissen: Die Familie geht uns über alles. Unser Ideal ist die Pietas der Römer. Weißt du, was das heißt?“
„Du willst wissen, was das Wort auf Fränkisch heißt?“, murmelte sie ungläubig.
Er lachte leise. „Nein, ich dachte eher an die Bedeutung. Mit Pietas ist ein ganzes Bündel von Verhaltensweisen und Normen gemeint. Das Wichtigste ist die hingebungsvolle Ein- und Unterordnung in die Familie. Das ist deine vornehmste Aufgabe. Wird dir das gelingen? Hingebungsvolle ...“ Er küsste sie wieder, als sei es das Natülichste der Welt.
Als sie begriff, dass zwischen seinen Worten und Taten ein himmelweiter Unterschied klaffte, kam sie langsam wieder zu sich. Von wegen Pietas !
„Unterordnung. Ich weiß nicht ...“ Für ein heimliches Getändel eignete sich der Garten kaum. Wenigstens zwei Fenster einer Palastseite gingen auf den Garten hinaus. Brunichild schaute sich nach einem Winkel um, der sie vor neugierigen Blicken schützte. Die Rosenlaube, auf die Chilperich zusteuerte, war viel zu gut einsehbar. „Deine Gattin Audovera schafft das?“ Audovera strahlte so viel königliche Würde und Unnahbarkeit aus, dass ihre Unterordnung etwas ganz Besonderes sein musste.
„Sie ist die beste aller Ehefrauen und die Mutter prächtiger Söhne“, erklärte Chilperich, ohne mit der Wimper zu zucken.
„Sie wirkt sehr vornehm auf mich.“ Und wie ist sie im Bett? Auch so unnahbar und kalt?, spann Brunichild im Stillen den Gedanken weiter. Sie spürte einen lästigen Stich
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