Der Geliebte
Limousin-Rinder in der Hügellandschaft. Meine Aussicht.
Ich vermisste Frankreich.
Im Laufe dieser einen Woche in den Niederlanden wurde mir über alle Maßen deutlich, dass ich doch lieber mit meinem gebrochenen Französisch in einem halbfertigen Haus in the middle of nowhere hockte als in diesem überquellenden Hexenkessel. So viele Menschen es hier auch geben mochte, die mir am Herzen lagen. Oder gelegen hatten. Immerhin war das hier mein Zuhause gewesen, vierunddreißig Jahre lang. Glücklich war ich hier gewesen. Aber nach einem halben Jahr Frankreich war ich ein für alle Mal entwurzelt.
Ich setzte mich ans Ufer des Sees und sah den über der Wasseroberfläche schwirrenden Insekten zu. Dann ließ ich den Kopf ins Gras sinken und schaute in den Himmel. Er war hellblau mit vereinzelten Wolkentupfern. Ein glitzernder kleiner Punkt durchschnitt die hohe Weite und zog dabei einen kerzengeraden weißen Streifen hinter sich her, der langsam zerfaserte und sich, je weiter das Flugzeug davonflog, nach und nach im unendlichen Blau auflöste. Ich hörte die Grillen zirpen, noch unsicher und verhalten, aber zumindest waren sie wieder da.
Und ich spürte, wie ich allmählich ruhiger wurde.
Das war gut so.
Peter hatte Wort gehalten. In den letzten Wochen hatte es vorsichtige Annäherungsversuche zwischen uns gegeben. Wir waren ein paar Mal bei ihm und Claudia zu Gast gewesen und hatten jedes Mal einen wundervollen Abend dort verbracht. Ich hatte angefangen, Peter wieder mehr als Mensch zu betrachten. Er hatte Fehler gemacht und versuchte nun, sie wiedergutzumachen. Ich würde ihm wohl nie wieder vorbehaltlos vertrauen, aber ich hatte zumindest nicht mehr so viel Angst vor ihm.
Eric hatte das Projekt mit den Hütten nie wieder erwähnt und sich stattdessen ganz darauf konzentriert, eine Webseite für die chambres d’hôtes zu bauen. Er hatte eine Digitalkamera gekauft, mit der ich Fotos von den Zimmern und den malerischen Dörfern der Umgebung gemacht hatte. Wir hatten Kontakt zu verschiedenen Internetagenturen aufgenommen, die Feriengäste vermittelten. Wenn alles gut ging, konnten wir in der Hauptsaison die ersten Gäste begrüßen und unser erstes Geld verdienen.
Vielleicht war mein Ausrutscher mit Michel gar nicht so schlecht gewesen. Jetzt wusste ich zumindest wieder, wie gut ich es hatte. Eric war zuverlässig, lieb und fürsorglich. Er kümmerte sich vorbildlich um uns. Unser Frankreichabenteuer hatte uns erst auseinandergetrieben, dann aber noch näher zusammengebracht. Gab es nicht in allen guten Beziehungen auch mal eine Talfahrt? Etwas in der Art meinte ich mal irgendwo gelesen zu haben. Jede Beziehung wird bisweilen auf die Probe gestellt. Wenn etwas Grundsätzliches nicht stimmt, kann so eine Krise der Punkt sein, an dem man sich trennt. Andernfalls geht man einiger daraus hervor denn je.
Für Eric und mich hatte Letzteres gegolten, und das empfand ich durchaus als Privileg.
Zwar konnte in sexueller Hinsicht noch immer nicht von Explosionen der Leidenschaft die Rede sein, aber nach dem heftigen emotionalen Auf und Ab, das ich hinter mir hatte, hielt sich mein Bedauern darüber in Grenzen. Im Leben kam es schließlich nicht nur auf Sex an. Wenn ich in Erics Armen lag, fühlte ich mich sicher und geborgen.
Nach einer schwierigen und von viel Protest begleiteten Anlaufphase kamen Bastian und Isabelle in der Schule erstaunlich gut zurecht und machten auch beim Unterrichtsstoff merkliche Fortschritte. Erst gestern hatte mir die Lehrerin gesagt, dass sie in ihrer Beurteilung empfehlen würde, die beiden in die nächste Klasse zu versetzen. Ihr Französisch war noch nicht ganz so gut wie das der einheimischen Kinder, aber sie gaben sich so viel Mühe und kamen so gut voran, dass das nichts ausmachte. Auch Freundschaften hatten die beiden inzwischen geschlossen, Bastian war sogar schon einen Schritt weiter: Bis über beide Ohren verliebt in ein Mädchen aus seiner Klasse, ein fröhliches Kind mit Sommersprossen, das Laura hieß. Wenn ich die Kinder von der Schule abholte, saßen die beiden Hand in Hand auf einem Mauervorsprung.
Michel hatte ich seit November nicht mehr gesehen, aber keinen Augenblick lang war er aus meinen Gedanken verschwunden. Die warmen Erinnerungen, die mich durchfluteten, wechselten gnadenlos mit größter Scham. Wie hatte ich nur so dumm sein können?
Peters Worte gingen mir nicht mehr aus dem Sinn.
Ich war eine Trophäe gewesen. Eine Herausforderung.
Unbegreiflich blieb mir
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