Der Geliebte
allerdings, warum Michel sich dann solche Mühe gegeben hatte, seine Trophäe telefonisch zu erreichen. Wenn er sich in der unwirtlichen Gegend an der spanischen Grenze aufhielt, war das vermutlich ziemlich aufwändig gewesen. Ich stellte mir vor, wie er Mal um Mal in einer Kneipe gestanden und mit einem Telefon aus der Vorkriegszeit immer wieder vergeblich unsere Nummer gewählt hatte, um dann vierzig Kilometer über kleine kurvige Straßen zu der Baustelle zurückzufahren.
Aber vielleicht war es auch ganz anders, und er hatte sich eine baskische Schönheit geangelt. Wenn er sich nicht gleich einen ganzen Harem zugelegt hatte. Sämtliche Frauen zwischen vierzehn und vierzig Jahren aus dem nächsten Dorf.
Besser, ich kümmerte mich nicht mehr darum. Zu groß war die Scham, zu groß auch die Erleichterung darüber, dass jetzt alles vorbei war. Michel gehörte der Vergangenheit an. Daran glaubte ich ganz fest.
Ob es tatsächlich so war, würde ich bald erfahren. Michel, Bruno und Arnaud hatten ihr Abenteuer in den Bergen hinter sich. Ab morgen wären sie wieder bei uns beschäftigt.
44
Michel sprang aus einem von Peters demolierten Bussen.
Ich biss die Zähne zusammen und blieb stehen, wobei ich eine leere Gießkanne, die ich gerade in der Hand hatte, wie einen Schild vor mich hielt.
Er sah unwiderstehlich aus. Noch viel besser als in meiner Erinnerung. Das Herz pochte mir heftig in der Brust.
Seine eleganten Bewegungen. Die gebräunten Arme, die aus dem ärmellosen T-Shirt herausragten.
Bleu sauste auf ihn zu und sprang schwanzwedelnd an ihm hoch. Michel spielte mit ihm, als wäre alles in Ordnung, als wäre überhaupt nichts vorgefallen. Als läge es nicht fast fünf Monate zurück, dass er zum letzten Mal hier war.
Dann sah er in meine Richtung, und unsere Blicke begegneten sich. Selbst auf die Entfernung verursachte dieser Blick auf Anhieb einen Kurzschluss in meinem System. Alles um mich herum versank in undifferenziertem Hintergrundrauschen. Die kalten Wintermonate, der Schmerz, die Verwirrung, die Einsamkeit - all das fiel plötzlich von mir ab.
Ich presste die Gießkanne an mich.
Ich hatte Grund genug, ihn zu hassen. Aber rein körperlich reagierte ich euphorisiert auf seine Gegenwart, als hätte ich plötzlich eine enorme Dosis Glückshormone im Blut.
Es kostete mich eine erhebliche Willensanstrengung, aber ich machte auf dem Absatz kehrt und ging ins Haus zurück. Die französischen Umgangsformen konnten mir gestohlen bleiben. Einen Begrüßungskuss würde ich Michel jedenfalls nicht geben. Ich konnte einfach nicht.
Ich rannte die Treppe hinauf und schloss mich feige im Gästebadezimmer ein. Mit geschlossenen Augen saß ich eine gute halbe Stunde auf dem Boden, den Rücken an die Wand gelehnt, heftig zitternd, und verfluchte mich selbst.
Das Essen war eine Katastrophe. Ich war derart aus der Fassung, dass die Zwiebeln, die den Bratkartoffeln eine zusätzliche Note hätten geben sollen, schwarz verbrannt waren. Das Gemüse war verkocht, das Fleisch zu zäh.
Michel saß mir gegenüber, mit nacktem Oberkörper, völlig ungeniert.
Ich tat mein Bestes, ihn zu ignorieren. Mein Allerbestes.
»Hast du das von John und Patricia gehört?«, wandte Peter sich an Eric. »Den beiden aus England?«
Eric verneinte murmelnd.
»Ein Drama. Letzten Winter haben sie ein Haus gekauft, so ähnlich wie eures. Obwohl, nicht ganz so schlimm, das Dach sah zumindest ganz gut aus. Ich habe einen Trupp von meinen Leuten hingeschickt, und letzte Woche sind wir fertig geworden. Gestern Abend kam John bei mir vorbei, und es stellte sich heraus, dass sie ziemlich in der Patsche sitzen. Sie haben das Haus von ihrem eigenen Geld gekauft und die Sanierung selbst finanziert, aber jetzt, wo sie damit fertig sind, sind sie quasi pleite. Patricia war bei der Bank, um eine Hypothek aufzunehmen, aber das haben sie abgelehnt.«
»Und warum?«, hörte ich Eric fragen.
Vorsichtig spähte ich zu Michel hinüber. Er grinste mich so breit an, dass er damit selbst einen Toten aufgemuntert hätte, und sagte in umgangssprachlichem Französisch sogar noch etwas Nettes über mein völlig misslungenes Volksküchengericht.
» Merci «, antwortete ich leise und starrte auf meinen Teller. Ich spürte meinen eigenen Herzschlag, den Rhythmus meines Atems.
»Im Nachhinein bekommt man hier keine Hypothek.« Peters dunkle Stimme schien von weither zu kommen.
»Wie jetzt? Keine zweite Hypothek, meinst du?«
»Nein, überhaupt keine. Eine
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