Der Geliebte
wollte ich den Wagen anlassen, als mich ein lauter Knall erschreckte: Eric. Er stand neben dem Auto und hatte mit der flachen Hand auf das Dach geschlagen.
Ich ließ das Fenster herunter.
»Simone, das geht nicht.«
»Was geht nicht?«
»Dass du dich einfach davonschleichst, ohne dich vorgestellt zu haben.«
Davonschleichen?
»Ich schleiche mich nicht davon, ich fahre einkaufen.«
»Die Jungs haben mich gerade gefragt, wo denn meine Frau ist. Ich hab gesagt, ich würde dich mit ihnen bekannt machen, wenn du aus dem Dorf zurück bist. Aber kaum sehe ich dich aus dem Augenwinkel ankommen, da willst du schon wieder los. Benimm dich doch mal ein bisschen sozial, stell dich vor!«
Ich spähte an Eric vorbei in den Hof. Ein paar Männer schauten neugierig zu uns herüber.
»Oh. Tut mir leid.«
Ich stieg aus und ging mit Eric zusammen auf den Hof, woraufhin sie plötzlich aus allen Himmelsrichtungen auf uns zukamen. Sie waren unterschiedlich alt. Manche bekamen schon graue Haare, andere waren noch jung, etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre. Sie lächelten freundlich. Ich schüttelte Hände, nannte meinen Namen, fand mich selbst ziemlich lächerlich, weil ich immer wieder dasselbe sagte, und kam mir als einzige Frau zwischen lauter Männern etwas komisch vor. Ich arbeitete mich reihum vor. Ein Mann mit zerfurchtem Gesicht, der an der einen Hand bloß drei Finger hatte und Louis hieß. Ein blonder Typ von etwa zwanzig mit einem Piercing in der Augenbraue und einem Tattoo auf der rechten Schulter, Bruno. Dann Antoine, um die fünfunddreißig, mit dunklen, fröhlichen Augen, femininen Gesichtszügen und ebensolcher Gestik. Arnaud, der am ältesten aussah, bereits grau war, einen Schnurrbart trug und Hornhaut an den Händen hatte. Ich hatte noch nie ein gutes Namensgedächtnis besessen, es ging alles zu schnell. Ich hoffte nur, dass ich sie mir im Laufe der Zeit noch einprägen würde. Nummer Fünf hieß Pierre-Antoine: ein dunkler, spanischer Typ mit pechschwarzem Haar.
Der Letzte war etwas größer als ich und trug eine verschlissene Trainingshose, die so weit abgesackt war, dass man den Rand seines Slips sehen konnte. Flacher Bauch, junge, glatte Haut, breite Schultern. Als ich ihm die Hand gab, fiel mir sofort der verwegene Blick auf, mit dem er mich zu durchbohren schien. Schlagartig wurde mir seine körperliche Nähe bewusst, diese ungenierte Männlichkeit seines nackten Oberkörpers. Er stellte sich als Michel vor.
Ein Vakuum entstand.
Einer von den anderen löste die Spannung, indem er laut zu lachen anfing und Michel freundschaftlich in die Seite stieß. Dieser ließ meine Hand los und sagte schnell irgendetwas, das ich nicht verstand, ihm aber den Beifall seiner Kollegen eintrug. Ein paar von ihnen grinsten.
Peter kam zu uns. Bevor ich noch durchschaut hatte, was vor sich ging, küsste er mich auf beide Wangen, knuffte mich in die Schulter und gebot den Männern mit einer Geste, wieder an ihre Arbeit zurückzukehren. Kurz kam er mir vor wie ein Zirkusdompteur, die Männer gehorchten noch dem kleinsten seiner Winke. Sie waren offensichtlich gut aufeinander eingespielt, Peter und seine Mannschaft. Ein beispielhafter Gruppenzusammenhalt.
»Das sind deine Kostgänger«, sagte Peter mit breitem Grinsen, aber auch mit einem belehrenden Unterton, der mir nicht entging. »Simone, Mädchen, nicht vergessen: Arbeitskräfte werden hier überall gesucht, und wir gehen immer am liebsten dorthin, wo das Essen und die Atmosphäre am besten sind.«
Ich rang mir ein Lächeln ab und murmelte: »Könnt ihr … ich meine, ist das mit dem Essen wirklich so wichtig?«
Peter grinste mich breit an. »Wir sind hier in Frankreich, nicht in den Niederlanden. Hier wird hart gearbeitet, aber man versteht auch zu leben. Eine reichhaltige Mahlzeit, Zeit für gute Gespräche, das ist nicht nur Beiwerk, sondern eine Notwendigkeit.« Peter deutete mit dem Kinn auf seine Leute. »Vergiss nicht, ihnen jeden Tag die Hand zu geben, morgens, wenn sie kommen, aber auch abends, wenn sie nach Hause gehen. Höflichkeit steht hier hoch im Kurs. Zeig Interesse, bereite ihnen ein ordentliches Essen. Das wissen sie zu schätzen. Ich übrigens auch. Wir alle hier. Wenn du aus den Niederlanden kommst, ist das schon mal gar nicht gut: rücksichtslos, unhöflich, zu direkt, zu laut und kulinarisch minderbemittelt. Wenn du es schaffst, den Leuten zu beweisen, dass für dich das Gegenteil gilt, kommst du hier gut durch. Dann tragen sie dich innerhalb
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