Der Geliebte
darauf.«
Ich sehe zu ihm auf. Es ist nicht Mitleid, was er empfindet. Er ist nicht um meine Gesundheit oder meine Ernährung besorgt. Es ist schlichtweg Routine. Er macht seinen Job, ich bin für ihn ein Arbeitsvorgang. Nicht mehr, nicht weniger. Nein, ich bin nicht einzigartig. Ich bin nicht einmal ein Mensch, sondern nur ein Rädchen einer Maschine, mit der etwas nicht stimmt, ein fehlerbehaftetes Produkt.
»Wir holen es für Sie. Sie können Pizza bekommen, Spaghetti, McDonald’s … oder irgendwas anderes vom Take-away. Was immer Sie möchten.«
Abwehrend hebe ich die Hand. »Nein, merci … Ich … ich würde wirklich gern meinen Mann anrufen.«
» Je suis désolé, madame. «
Er nickt mir zu, geht hinaus und schließt die Tür hinter sich. Beim Knarren des Schlosses erzittere ich. Ich krieche auf das Bett an der Wand, ziehe die Beine an und schotte mich ab.
9
Neun Uhr abends. Ich hatte die Kinder im Wohnwagen ins »Bett« gebracht, nachdem ich zuvor eine gute halbe Stunde lang nach Isabelles Ninchen gesucht hatte (es lag unter dem Wohnwagen im Unkraut). Außerdem hatte ich Bastian zugehört, dem plötzlich aufgegangen war, dass dieses Abenteuer nicht einfach irgendwann wieder vorbei wäre. Er vermisste sein altes Zimmer, seine PlayStation 2, für die im Wohnwagen kein Platz war, und seine alte Schule, wo er sich nicht immer erst den Kopf hatte zerbrechen müssen, bevor er etwas von sich gab. Aber vor allem vermisste er seine Freunde und besonders unseren Nachbarsjungen, der genauso alt war wie er und mit dem er quasi täglich losgezogen war.
Hier gab es keine anderen Kinder zum Spielen.
Dafür gab es viel Platz, aber auch der wurde immer weiter eingeschränkt. Eric hatte das Haus zum verbotenen Territorium erklärt, weil dort zu viele Gerüste standen, zu viele Kabel und Werkzeuge herumlagen, kurz, weil es zu gefährlich war, zwei Kinder von acht und fünf Jahren unbeaufsichtigt dort herumlaufen zu lassen.
Ich nahm mir vor, die beiden morgen nach der Schule zu der kleinen Ruine am Meer mitzunehmen, wo ich sie alleine nicht hinließ. Ich selbst war jeden Tag dort, meistens nur kurz, früh am Morgen, nachdem ich die Kinder weggebracht hatte, manchmal aber auch gegen Abend, wenn sie schon im Bett lagen und Eric noch mit den Vorbereitungen für den nächsten Tag beschäftigt war und bloß Augen für seinen Notizblock und den Taschenrechner hatte.
Er war dann immer meilenweit weg. Unerreichbar.
Und das saß mir wie ein Stachel im Fleisch. Gerade jetzt. Weil ich so zweifelte, an allem. Bastians Heulanfall von vorhin hatte mich tief berührt. Und dass die Frau hinter dem Schalter der préfecture in der Stadt mich heute Nachmittag angeschnauzt hatte, weil ich nicht die richtigen Formulare für die Ummeldung unseres Autos auf ein französisches Nummernschild dabeihatte, all das hatte mehr Einfluss auf meine Laune, als ich zugeben wollte.
Außerdem vermisste ich sonderbarerweise Michel. Er war jetzt schon eine Woche lang nicht mehr hier gewesen.
Peter hatte mir heute Nachmittag beim Essen erzählt, warum: Er brauchte ihn auf einer anderen Baustelle, ebenfalls bei Niederländern, am anderen Ende der Stadt. Zwei von den Männern, die Peter dort drüben eingesetzt hatte, saßen gerade mit Rückenbeschwerden zu Hause. Michel war jung und kräftig, er konnte ein bisschen mehr aushalten als die über Dreißigjährigen. Also arbeitete er jetzt da, bei mir unbekannten Landsleuten.
Irgendwie war ich eifersüchtig. Und am liebsten hätte ich alles darüber erfahren, bis ins kleinste Detail. Aber ich tat, als ob es mich nicht interessierte. Aus Angst, dass mein Interesse zu auffällig wäre.
Eric entging das. Er war so in Beschlag genommen von dem Haus, dem Fortschritt der Bauarbeiten, den Planungen und den Gesprächen mit Peter - die beiden verstanden sich prächtig -, dass ich manchmal das Gefühl bekam, ich könnte auch einfach verschwinden, und er würde es erst bemerken, wenn er eines Mittags kein Essen serviert bekäme.
Vielleicht war es auch völlig normal, dass Eric nicht mitbekam, was mich beschäftigte. Auch in den Niederlanden hatte ich schließlich abends, wenn er von der Arbeit nach Hause gekommen war, nicht alle Ereignisse des Tages noch einmal mit ihm durchgesprochen. Das Meiste war auch gar nicht so wichtig, und manche Dinge behielt ich sowieso gern für mich. Von meinem Innern kannte Eric nur einen kleinen Teil. Nur dasjenige, was er kennen und ich preisgeben wollte. Nicht alles. Sonst
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