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Der Geliebte

Titel: Der Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
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jetzt noch nicht danach aus«, fuhr er fort, »aber das Dach ist Ende der Woche fertig. Dann legen wir die Balken rein. Noch ein, zwei Tage für die Böden, und danach können wir oben mit den Abschlussarbeiten anfangen.«
    »Das ist das Sichtbare«, verdeutlichte Eric. »Verputzen, tapezieren, streichen.«
    »Wir haben gerade abgesprochen, dass wir erst die drei Schlafzimmer für euch fertig machen.«
    »Provisorisch«, ergänzte Eric. »Wir schlafen vorläufig im linken Flügel und machen dann im unteren Stockwerk weiter. Dann können wir das in Ruhe angehen und richtig schön machen. Und wenn das fertig ist, fangen wir mit unseren Wohnräumen an.«
    Im rechten Teil des Hauses, wo sich auch der Turm befand, würden wir wohnen. Bisher war dort kaum etwas getan worden. Die Arbeiten hatten sich auf den linken Flügel und das Dach konzentriert.
    »Schön«, sagte ich. »Dann brauchen wir also den Winter nicht mehr im Wohnwagen zu verbringen?«
    »Wir müssen das mit der Heizung noch klären. Peter meint, es kann hier im Winter zehn Grad minus haben, also ist eine Heizung nicht gerade überflüssiger Luxus.«
    Die Sonne beschien den gedeckten Tisch und wärmte mir den Rücken. Die Körper der Arbeiter warfen lange Schatten über die Teller und Schüsseln. Der Winter kam mir abstrakt vor, wie aus einer anderen Welt.
    »Zehn Grad minus?«, fragte ich nach.
    »Letztes Jahr schon«, antwortete Peter. »Wir hatten seinerzeit ziemlich zu tun mit geplatzten Wasserleitungen, da sind viele ganz schön in die Bredouille geraten. Seit ich hier lebe, war es noch nie so kalt.«
    »Also, Schatz«, sagte Eric, »noch etwa drei Wochen die Zähne zusammenbeißen, dann schlafen wir wieder in unserem eigenen Bett.«
    »Großartig.« Ich drehte mich zum Haus um. Gerüste an der Front, überall Geröll, Holz, Werkzeug und einzelne Kleidungsstücke, die sich die Arbeiter, je weiter der Tag vorangeschritten und je heißer es geworden war, ausgezogen und irgendwo hingeworfen hatten.
    »Und die Fenster und Türen?«, fragte ich.
    »Das ist ein Tag Arbeit«, meinte Peter. »Die haben wir schon mit den richtigen Maßen bestellt. Müssen bloß noch eingesetzt werden. Ihr habt Glück, die Grundsubstanz des Hauses ist gut. Bei alten Häusern weiß man nie, was einen erwartet, also war ich vorsichtig mit der Planung, aber es geht gut voran.«
    Ich schrecke aus meinem lethargischen Zustand auf. Kurz weiß ich nicht, wo ich bin, bis ich die Wand gegenüber wieder sehe. Grün. Mit Sprüchen, Kritzeleien. Fuck the police , hat jemand über der Toilettenschüssel aus Stahl eingekerbt.
    Ich bin wohl eingedöst. Wie spät es ist, weiß ich nicht. Meine Armbanduhr musste ich, als ich heute Morgen hier ankam, abgeben. Eine Polizistin hat meine Taschen durchsucht. Die Armbanduhr, ein paar zerknüllte Einkaufsbons, die ich noch in der Jackentasche hatte, die Hausschlüssel und ein wenig Parkgeld landeten sofort in einem kleinen Plastiktütchen mit Etikett. Auch die Schuhe musste ich ausziehen. Die Polizistin friemelte die Schnürsenkel heraus, steckte sie zu meinen restlichen Habseligkeiten und gab mir die Turnschuhe zurück. Ich musste ein Formular unterschreiben, das von einem anderen Polizisten abgestempelt wurde. Ich rechnete schon damit, dass sie mir einen Overall geben würden: orange, wie man es aus diesen amerikanischen Spielfilmen kennt. Aber ich stecke immer noch in meinen eigenen Klamotten: ein T-Shirt von Esprit, ein langer, weiter Baumwollrock. Und Turnschuhe ohne Schnürsenkel.
    Die Schritte kommen näher. Irgendwo tief in meinem Innern flackert ein Lämpchen auf: die Vernehmung. Sie holen mich zum Verhör ab. Mein Atem beschleunigt sich.
    Was soll ich sagen? Oder soll ich lieber gar nichts sagen? Alles, was ich über solche Situationen zu wissen meine, habe ich aus amerikanischen Fernsehserien: You have the right to remain silent. Everything you say, can and will be used against you in the court of law .
    Haben sie heute Morgen bei der Verhaftung irgendetwas in der Art gesagt, auf Französisch? Ich kann mich nicht erinnern, nur Erics Blick, seine Bestürzung, ist mir gegenwärtig geblieben.
    Seine Frau unter Mordverdacht.
     

12
     
    Ein Jahr vor ihrem Tod vertraute meine Großtante mir ihren größten Wunsch an. Sie wollte Rollschuh laufen, wie früher als Kind. Draußen, an den Häusern vorbei, auf dem Bürgersteig, Pirouetten drehen, auf einem Bein.
    Das erzählte sie mir, als wir zu zweit waren.
    In die Tat umgesetzt hat sie es

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