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Der Geliebte

Titel: Der Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
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langsam mit den Armen durch das Gras strich und das Kitzeln der weichen Halme auf der Haut spürte. Ich schloss die Augen.
     
    Manche Leute glauben, dass man die Gegenwart eines anderen Menschen spüren kann. Dass es dafür einen eigenen Wahrnehmungssinn wie das Sehen, Hören oder Riechen gibt. Dieser völlig irrationale und bislang unbekannte Sinn signalisiert angeblich die Nähe eines anderen Menschen und warnt einen, wenn man beobachtet wird. In der Straßenbahn, allein zu Hause oder an der frischen Luft. Überall.
    Die Wissenschaft hat dieses Phänomen untersucht und ist in ihrer grenzenlosen Weisheit zu dem Schluss gekommen, dass es so etwas nicht geben kann.
     
    Ich öffnete die Augen. Richtete mich ein wenig auf, noch ungläubig, weil ich an mir selbst zweifelte.
    Vor mir stand Michel und sah mich an. Die Hände in den Taschen seiner ausgeleierten Trainingshose, über deren Saum seine grauen Boxershorts zu sehen waren. Darüber kein T-Shirt, kein Hemd. Nur nackte Haut. Er schien dort schon eine Weile zu stehen und gab sich keine Mühe, das zu verbergen. Langsam verschwand das amüsierte Lächeln von seinem Gesicht. Er verschlang mich mit den Augen.
    »Es ist schön hier«, sagte er.
    »Äh … ja«, sagte ich.
    Dann sagte er noch etwas, ganz leise, was ich nicht gut verstand. Ich meine, er hätte gesagt: du auch. Du bist auch schön. Aber sicher war ich mir nicht, und ich wollte ihn auch nicht bitten, es zu wiederholen, weil ich mich sowieso schon vorgeführt fühlte und mich schämte, dass er mich in einem dieser ziemlich privaten Entspannungsmomente beobachtet hatte, von denen nicht einmal Eric wusste, dass ich mich ihnen manchmal hingab.
    Im nächsten Augenblick wandte er sich ab, ohne zu grüßen oder noch irgendetwas zu sagen, und ging zurück, die Hügel hinauf, auf das Haus zu, geschmeidig, leichtfüßig. Ich folgte ihm mit den Augen, bis er als kleiner Punkt auf der anderen Seite des Hangs verschwand.
    Michel war offenbar wieder da.
     

11
     
    »Mama, mir ist heiß.« Bastian sah mich unglücklich an und wurde ein bisschen rot.
    Isabelle und er hatten schulfrei, die Lehrer streikten und demonstrierten gerade irgendwo in der Stadt. Worum es sich genau drehte, war mir entgangen. Mehr Freistunden, mehr Gehalt, vielleicht auch beides.
    Ich hatte den Kindern Papier und Stifte gegeben und zeichnete gerade das fünfte Kaninchen für Isabelle und das dritte Auto für Bastian. Beim Ausmalen der Umrisse wurden sie immer ungenauer, lange würde ich es wohl nicht mehr schaffen, sie ruhig zu halten. Sie wollten nach draußen, etwas unternehmen, sie wurden zappelig, aber die Hälfte der Arbeiter befand sich derzeit auf dem Dach, und regelmäßig fielen ohne Vorwarnung Steine oder Ziegel hinunter. Beim Haus war es zu gefährlich. Vielleicht musste ich Bastian und Isabelle einfach mitnehmen, wenn ich gleich zum Einkaufen in die Stadt fuhr.
    Ich sah auf die Uhr. Das würde ich nicht mehr schaffen. Es war jetzt elf, fast schon Hauptverkehrszeit, wir konnten also erst nach dem Mittagessen weg. Kurz beschlich mich eine leichte Panik. Wie sollte ich in Gottes Namen die Kinder vom Haus fernhalten und gleichzeitig eine komplette Mahlzeit auf den Tisch bringen?
    »Ich will zum See«, sagte Isabelle.
    »Ja«, sagte Bastian, »schwimmen!«
    »Zum Schwimmen ist es jetzt zu kalt«, sagte ich.
    »Es ist überhaupt nicht kalt!«
    »Nein, aber der Sommer ist doch wohl vorbei, Schwimmen geht jetzt nicht mehr.«
    Bastian kratzte mit einem grünen Stift über seine letzte Zeichnung. »Wann fahren wir wieder in die Niederlande?«
    »Wenn das Haus fertig ist.«
    Zwei Augenpaare sahen mich erschrocken an. »Das dauert ja noch hundert Jahre!«
    Ich lächelte und steckte Isabelle eine Locke hinters Ohr.
    »Nein, nein, das geht viel schneller. Ich schätze, dass wir schon zu Weihnachten in die Niederlande fahren können. Dann besuchen wir Opa und Oma. Schön, nicht?«
    Bastian sagte nichts. Isabelle sah mich unverwandt an. »Ich finde es hier überhaupt nicht schön, Mama. Ich will zurück nach Hause.«
    Ihre Klage traf mich mitten ins Herz, aber das durfte ich mir nicht anmerken lassen. Dies war Erics großes, spannendes Frankreich-Abenteuer. Er tat jetzt das, wovon er jahrelang geträumt hatte. Mein eigener Traum wartete noch darauf, in Erfüllung zu gehen: wenn erst die Gästezimmer fertig wären. Aber für Isabelle und Bastian war der Schritt, den wir getan hatten, wirklich die Hölle. Das war mir durchaus bewusst, und zugleich

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