Der Geliebte
abzustellen, erschien Michel im Türrahmen.
Fast hätte ich die Schale fallen lassen.
Auf seinen Schultern saß Isabelle. Mit den Händen hielt sie sich an seiner Stirn fest und schaute genauso schuldbewusst drein wie Bastian, der betreten daneben stand und sich an Michels Trainingshose klammerte.
Michel grinste. »Sie sind auf dem Hof herumgelaufen.«
Er hob die Arme, umfasste Isabelle mit seinen Händen und setzte sie vor sich auf dem Boden ab. Durch die Bewegung fing ich einen Hauch von Waschmittelgeruch auf - falls es das war, jedenfalls war es ein Geruch, der zu ihm passte und auf mein biologisches System eine unerwartet heftige Wirkung hatte.
Ich versuchte, mich möglichst nicht auf Michel, sondern auf die Kinder zu konzentrieren. Das gelang mir nur halb.
Bastian bereitete sich auf eine Konfrontation vor, schützend stellte er sich vor seine Schwester. »Es ist zu heiß im Wohnwagen, und Isabelle kritzelt immer auf meiner Zeichnung herum.«
»Gar nicht! Du bei mir!«
»Du hast angefangen!«
»So, jetzt ist es mal gut.« Ich hielt Bastian am Arm fest, um ihn zu beruhigen. »Wir hatten doch eine Abmachung, oder? Ihr solltet im Wohnwagen bleiben, und daran habt ihr euch nicht gehalten.«
Bastian riss sich los. »Wir wollen nicht drin bleiben, wir wollen schwimmen gehen!«
Ich hob den Blick, aus einem Impuls heraus, auf der Suche nach Unterstützung. Das hätte ich lieber nicht tun sollen. Michel lehnte am Türpfosten, eine Hand am Oberarm und ein amüsiertes Grinsen im Gesicht. »Kann ich irgendetwas tun?«
Ich blickte von den Kindern zu Michel und wieder zurück. »Äh … nein, danke, ich schaffe das schon.«
Der Brokkoli kochte. Ich schob den Deckel ein Stück zur Seite, damit der Dampf entweichen konnte.
»Bleibt ihr dann wenigstens hier in der Küche?«, fragte ich.
»Uns ist so langweilig, Mama.«
Ich blickte zur Tür. Michel war verschwunden.
»Das verstehe ich ja, aber ich muss jetzt kochen. Und ihr könnt hier nicht alleine herumlaufen, das ist zu gefährlich. Soll ich gleich mal den Fernseher anmachen? Mit einem Keks und was Leckerem zu trinken?«
Das half.
Ich stellte die Flamme kleiner, holte ein paar Kekse aus dem Schrank, nahm Isabelle bei der Hand und ging in einem Bogen ums Haus zurück zum Wohnwagen. Ich überließ meine Kinder der treuen Fürsorge von Nickelodeon und einer Packung Kekse, während ich bereits wusste, dass ich ihnen heute Nachmittag doch ein kleines Geschenk kaufen würde, gegen meine eigenen Schuldgefühle. Die Supernanny hätte hier bestimmt eingegriffen, und zwar resolut. Ich wusste schon, dass ich resoluter hätte sein sollen. Aber Theorie und Praxis sind eben zwei verschiedene Angelegenheiten.
Am Mittagstisch kam ein Gespräch in Gang, an dem ich mich nicht beteiligte. Ich schnappte lediglich ein paar Worte auf, gerade genug um zu verstehen, worum es im Großen und Ganzen ging. Um die Fortschritte auf der Baustelle natürlich, dann um Präsident Chirac, um die Einheit Europas beziehungsweise den Mangel daran und schließlich um irgendwelche Prominente, die ich nicht kannte.
Michel sah mich an. Wenn unsere Blicke sich begegneten, bildeten sich kleine Lachfalten um seine Augen. Ich tat mein Bestes, ein höfliches, distanziertes Lächeln aufzusetzen. Doch je mehr ich mich bemühte, so zu tun, als wäre da nichts, desto weniger schien es mir zu gelingen. Ein Martyrium.
Mechanisch tat ich mir Essen auf den Teller. Ein bisschen Brokkoli und ein paar Pommes frites, kein Fleisch und keine Soße. Ich schmeckte überhaupt nichts, ich konnte kaum auseinanderhalten, was ich mir in den Mund steckte, und es kostete mich Mühe, den Teller leer zu essen. Mein Mund war trocken wie Leder, und mein Magen zog sich zusammen.
Eric unterhielt sich angeregt mit Peter, nunmehr auf Niederländisch. Es ging um Angelegenheiten, bei denen ich nicht mitreden konnte (die Vor- und Nachteile bestimmter Metallsorten und Kuppelstücke). Ich versuchte, die Aufmerksamkeit auf Isabelle und Bastian zu richten, aber bei jeder Bewegung, die ich machte, und jedem Wort, das ich aussprach, blieb ich mir der Anwesenheit Michels bewusst.
»He, Simone, hör mal, was Peter zu erzählen hat.«
Ich wandte mich Eric und Peter zu.
Peter fuhr sich mit der Hand durch die Locken. »Wir liegen gut in der Zeit, wir haben sogar einen gewissen Vorsprung. Wenn alles gut geht, könnt ihr in etwa drei Wochen schon im Haus schlafen.«
Das waren gute, wenn nicht sogar fantastische Neuigkeiten.
»Es sieht
Weitere Kostenlose Bücher