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Der Geliebte

Titel: Der Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
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Michel. Sie bedeuten mir viel. Ich bin verheiratet. Was heute Nachmittag geschehen ist, das …«
    Schneller, als ich reagieren konnte, lehnte er sich zu mir herüber, schob mir die Hand in den Nacken und küsste mich mitten auf den Mund.
    »Ich möchte dich wiedersehen«, wiederholte er. Dann ließ er von mir ab.
    Kurz schloss ich die Augen und wartete, bis ich mich halbwegs beruhigt hatte. Dann drehte ich den Zündschlüssel wieder herum.
     

13
     
    Stilbildung und Kultivierung des Menschen sind fortwährende Anforderungen, um seiner sozialen Isolation zuvorzukommen.
    Künstlerische Ausdrucksformen wie die Literatur sind dazu gedacht, den inneren Hunger des Ichs zu stillen, doch nach der Lektüre wird zumeist deutlich, dass es ein zweites identisches Ich nicht gibt, weshalb der Mensch in seinem tiefsten Inneren allein ist. Der Schein, dass dem nicht so sei, basiert lediglich auf kultiviertem Anstrich und oberflächlicher Persönlichkeitszeichnung.
    Schubladen, Karteikästen, Persönlichkeitsmerkmale. Hautfarbe, Geschlecht, Haartracht, Arbeit, Kinder oder keine, Alter, Musikgeschmack, Klassenzugehörigkeit, Glaube - nicht in dieser Reihenfolge.
    Das würde bedeuten, dass quasi alle Formen der Verbundenheit auf Äußerlichkeiten basieren. Was traurig ist, aber vielleicht auch Sicherheit vermittelt.
    Immerhin wirkt es beruhigend.
     
    Schuldgefühl.
    Ein schreckliches Schuldgefühl.
    Eric ahnte nichts.
    Ich war sieben, acht Stunden von zu Hause weg gewesen, und es kam mir vor wie sieben Monate.
    Michel ging sogleich zielstrebig auf Peter zu und verschwand dann im linken Flügel des Hauses. Peter und Bruno holten die Sachen aus dem Auto und fingen an sie zu sortieren. Nach einer kurzen Unterbrechung ging die Arbeit einfach weiter.
    Isabelle und Bastian nahmen Bleu mit so viel Begeisterung in Empfang, dass sie ihn fast zerquetschten. Strahlend drückte Isabelle ihr Gesicht in sein dickes, weiches Fell. Bastian fand ihn »stark«.
    Stirnrunzelnd hatte Eric mich angeschaut. Ich hatte ihm die Sache so erklärt: Wir hätten in Arcachon eine Bekannte von Michel getroffen, die Bleu bei sich hatte, und ich hätte den Hund auf Anhieb gemocht. Den Rest der Geschichte hatte ich wahrheitsgemäß erzählt, wenngleich ich ein bisschen dicker aufgetragen hatte.
    »Was hätte ich tun sollen?«, hatte ich gefragt. »Sie wollte ihn ins Tierheim bringen. Da hätten sie ihn vielleicht eingeschläfert.«
    »Vernünftig finde ich das nicht«, hatte Eric gesagt, in einem Tonfall, den er normalerweise Situationen vorbehielt, in denen Isabelle oder Bastian etwas angestellt hatten. »Wir haben hier jede Menge Arbeit, du hättest damit ruhig bis zum Ende der Bauarbeiten warten können. Außerdem entscheidet man so etwas zusammen, Simone. Jetzt stellst du mich einfach vor vollendete Tatsachen.«
    »Denk doch nicht immer nur an dich selbst«, hatte ich mit erstaunlicher Schärfe gesagt und auf die Kinder gezeigt. »Wir schleppen sie in ein anderes Land, reißen sie aus ihrem Freundeskreis heraus, bringen sie von ihren Verwandten und aus ihrer vertrauten Umgebung weg. Damit sie hier ganz von vorne anfangen, in einem Wohnwagen schlafen und in eine Schule gehen, wo sie sich mit den anderen Kindern nicht verständigen können. Das haben sie sich wahrlich nicht ausgesucht.« Und leiser: »Du weißt doch genau, wie gern sie schon immer einen Hund haben wollten. Schau sie dir doch an, Eric.«
    Es ließ sich nicht abstreiten: Die Kinder und Bleu gaben ein prächtiges Bild ab, wie in einem Film oder einer Fernsehreklame. Bleu benahm sich, als wäre er schon immer hier gewesen. Er rannte mit Isabelle und Bastian durch die Gegend, ließ sich liebkosen und brachte Stöcke zurück, die Bastian für ihn warf. Dass die Kinder mit ihrem neuen Haustier rundherum glücklich waren, war nicht zu übersehen, also gab Eric schließlich nach - ganz wie es sich für einen Vater gehörte.
    Eigentlich ging alles weiter wie bisher, als wäre überhaupt nichts geschehen, als strahlte und glühte ich nach den Erlebnissen des vergangenen Tages nicht noch aus allen Poren. Das Schuldgefühl, das an mir nagte, schob ich resolut beiseite.
     
    Gegen acht gingen die Arbeiter nach Hause, nicht ohne sich bei den Stufen auf dem Hof einer nach dem anderen mit Handschlag von mir verabschiedet zu haben. Michel war der Letzte in der Reihe. Ich wich seinem Blick aus. Ohne dass die anderen es sehen konnten, provozierte er mich, indem er mit dem Mittelfinger rasch meine Handinnenfläche

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