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Der Geliebte

Titel: Der Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
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müssen. Aber ich wusste einfach nicht, was ich fragen sollte, oder besser gesagt, was ich gefragt hätte, wäre Michel einfach einer von den Arbeitern gewesen und nicht jemand, mit dem ich noch am Nachmittag in einer Windhose am Strand von Arcachon geknutscht hatte wie ein verliebter Teenager. Und dem ich in die Hose gegriffen hatte.
    »Hörst du mir überhaupt zu?«, fragte Eric.
    Erschrocken sah ich auf. »Entschuldige, ich war gerade etwas abwesend«, sagte ich und log: »Ich bin einfach müde. Es war ein langer Tag, ich bin an so lange Autostrecken nicht gewöhnt, und … und dann auch noch den ganzen Tag Französisch sprechen. Ich glaube, das war alles ein bisschen viel.«
    Die Tür geht auf, und ich presse mich an die Wand. Es ist zu früh, viel zu früh, schießt es mir durch den Kopf.
    Wenn sie mich jetzt verhören, drehe ich durch, dann erzähle ich alles.
    Das darf ich nicht. Sie dürfen nichts erfahren. Nichts.
    Aber was wissen sie bereits?
    Der Polizist von vorhin steht an meiner Pritsche. Er stellt einen Plastikbecher vor mir auf dem Boden ab. » Voici, madame. «
    Ich starre den Becher an. Mein erstes Getränk heute. Ich merke, dass ich Durst habe und den widerwärtigen Geschmack im Mund gern wegspülen würde. Mein Hals ist rau.
    »Ich kann auch jetzt noch etwas zu essen für Sie holen lassen«, sagt er. »Es ist halb zwei.«
    Ich sehe auf. »Wann ist das … Verhör?«
    Der Polizist zuckt mit den Schultern. »Das gehört nicht zu meinem Aufgabenbereich.«
    »Und normalerweise?« Ich räuspere mich. Die Innenseiten meiner Wangen sind geschwollen und scheuern beim Sprechen schmerzhaft an den Zähnen.
    »Ich gehe davon aus, dass es am Nachmittag stattfindet.«
    Getöse auf dem Flur. Jemand hämmert gegen eine Zellentür und schreit. Der Polizist sieht mich an.
    »Sie möchten also nichts zu essen?«
    Ich schüttele den Kopf.
    Ohne sich zu verabschieden, dreht er sich um und schließt die Zellentür hinter sich ab.
    Ich bin wieder allein.
     

14
     
    »Nächste Woche Samstag müsst Ihr Euch freihalten«, sagte Peter.
    »Was ist denn da?«
    »Da hat unsere Firma ihr Fünfjähriges, also geben wir ein Fest, bei mir zu Hause. Und zwar ein echtes Fest, mit Liveband, Essen, Trinken, allem Drum und Dran. Es kommen so an die fünfzig Leute. Wäre toll, wenn ihr auch dabei sein könntet. Claudia will euch sowieso gern kennenlernen. Es kommen noch vier andere niederländische Paare aus der Region, wenn ich mich nicht täusche. Und überhaupt lernt ihr dann mal ein paar Leute kennen.«
    »Gute Idee«, sagte ich. Und meinte es auch so. Seit wir hier wohnten, waren wir noch kein einziges Mal ausgegangen. Unsere Welt war ziemlich zusammengeschrumpft. Die Aussicht, neue Leute zu treffen, Livemusik zu hören und zu tanzen, fand ich großartig. Das würde uns guttun.
    Eric, der neben mir am Essenstisch saß und den Mund voll Spaghetti Bolognese hatte, brummte zustimmend.
    »Obwohl Moment, das geht ja gar nicht«, dachte ich laut. »Die Kinder. Wir haben niemanden zum Aufpassen.«
    »Das ist überhaupt kein Problem. Es kommen noch mehr Leute mit Kindern. Ich habe ein Fernsehzimmer, mit Computerspielen und so. Die werden sich schon amüsieren. Prima Sauce übrigens.«
    Ich lächelte und nahm noch ein bisschen Salat, weil die Spaghetti so großen Anklang fanden und ich vielleicht zu wenig für uns alle hatte.
    Die Sauce hatte ich rasch aus Olivenöl, Zwiebeln, frischem Knoblauch, geschälten Romatomaten, frischem Basilikum sowie Salz und Zucker zusammengerührt. Auf kulinarischem Gebiet hatte ich meine persönliche Revolution vollzogen: Für jemanden, der noch vor Kurzem im größten Supermarkt der Gegend die Regale vergeblich nach Spaghettimix abgesucht hatte, in der Annahme, dass es unmöglich sei, ohne fluoreszierendes oranges Instantpulver leckere Spaghetti auf den Tisch zu bringen, war das eine reife Leistung.
    Am Kochen fand ich immer mehr Spaß, und mit Fertiggerichten gab ich mich schon lange nicht mehr ab. Dass ein solches Talent in mir schlummerte, war mir derart neu, dass ich noch den kleinsten Triumph, den ich in der alten Küche errang, über alle Maßen genoss. Den Gästen, die wir hier nächstes Jahr empfangen würden, würde es an nichts fehlen.
    Zwischen Bruno und Peter saß Bleu und verfolgte das Geschehen mit erwartungsvollen Blicken aus einem blauen und einem braunen Auge. Dabei hielt er die flauschigen Ohren gespitzt. Man konnte ja nie wissen, ob nicht jemand etwas vom Tisch fallen ließ. Oder einem

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