Der Geliebte
streichelte. Zum Glück beließ er es dabei, denn ich spürte, dass ich kurz davor war, mich durch irgendein körperliches Anzeichen zu verraten. Früher in der Schule war ich immer sehr schnell rot geworden. Später hatte das nachgelassen, aber das dem Erröten vorangehende Gefühl kannte ich noch. Viel hätte nicht gefehlt.
Ich flüchtete ins Haus, um das Abendessen vorzubereiten. Gewohnheitsmäßig füllte ich einen Topf mit Wasser und fing an Kartoffeln zu schälen. Eric kam in die Küche und machte eine Flasche Wein auf. Schenkte zwei Gläser ein, lehnte sich an den Tisch, auf dem der Gaskocher stand, und reichte mir eines.
Jetzt wird er es sagen, dachte ich. Er hat den richtigen Augenblick abgewartet. Jetzt war es ruhig, wir waren allein, die Kinder saßen vor dem Fernseher. Jetzt würde er mich mit seinen Vermutungen konfrontieren. Oder vielleicht vermutete er es nicht nur, sondern spürte es auch, roch es.
»Ich habe heute viel mit Peter zusammengearbeitet«, sagte er. »Und mich mit ihm unterhalten. Er ist wirklich ein ganz besonderer Mensch.« Er trank einen Schluck Wein und blickte durch den Rahmen der noch nicht vorhandenen Haustür auf den Hof hinaus. »Er hat mir ein bisschen über die Hintergründe von Michel erzählt.«
Jetzt würde es kommen. Ich konzentrierte mich auf das Schälen. Eine Kartoffel nach der anderen. Stellte das Wasser ab. Griff nach der nächsten Kartoffel.
»Er hat eine ziemlich schwere Jugend gehabt, bis Peter und seine Frau sich seiner angenommen haben. Er wäre fast auf die schiefe Bahn geraten, wusstest du das?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Seine Mutter war Schwimmerin.«
Das erklärte seine Figur.
Nicht dran denken, nicht an seinen Körper denken, an gar nichts denken.
Schälen, schälen, schälen.
»Leistungsschwimmerin, auf ziemlich hohem Niveau sogar. Sie ist nach Amerika gegangen, um für eine amerikanische Mannschaft an den Start zu gehen, und hat dort einen verheirateten Typen kennengelernt, von dem sie schwanger wurde. Der wollte aber nichts davon wissen. Also ist die Frau - oder das Mädchen, muss man wohl eher sagen - nach Frankreich zurückgegangen. Sie war noch verdammt jung damals, gerade zwanzig. Ihre Eltern wollten, dass sie es wegmachen ließ, aber damit war sie nicht einverstanden. Das mündete dann irgendwie in einen großen Streit, und schließlich ist sie zu ihrer Kusine gezogen, in Les Landes, unterhalb von Arcachon.«
Der Name des Ortes allein, dieser wundervolle Ortsname, ließ sofort alle möglichen Bilder an meinem inneren Auge vorbeiflitzen. Bilder, Farben, Gerüche, Gefühle.
»In den letzten Monaten ihrer Schwangerschaft war sie anscheinend nicht mehr so gut zu Fuß. Sie musste in einen Rollstuhl, und Michel kam per Kaiserschnitt zur Welt. Auch nach der Geburt hat seine Mutter noch eine ganze Weile im Rollstuhl gesessen, mit einer gigantischen postnatalen Depression. Als sie wieder auf die Beine kam, konnte sie nicht mehr schwimmen und nahm Tabletten. Dann lernte sie ihren neuen Freund kennen, der drogenabhängig war. Heroin, hat Peter vermutet, das war damals anscheinend in Mode.«
Ich murmelte etwas vor mich hin und beschäftigte mich weiter mit den Kartoffeln. Schnitt sie in kleine Würfel.
»Michel hat Peter einmal anvertraut, seine Mutter hätte sterben wollen. Sie sagte das auch regelmäßig allen, die es hören wollten, sogar dem Jungen selbst. Schlimm, oder? So was mitmachen zu müssen, wenn man noch so jung ist. Ein Vater, der nichts mit einem zu tun haben will, und eine Mutter mit Selbstmordgedanken.«
Wieder nickte ich. »Schrecklich.«
Eric sah mich an. Ich wollte gern noch mehr über Michel erfahren, ich brannte vor Neugier. Aber gleichzeitig fühlte es sich so unglaublich falsch an. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich hätte das alles gar nicht wissen dürfen, und Peter hätte solche intimen Details aus der persönlichen Vergangenheit eines anderen Menschen auch nicht einfach Eric oder sonst wem weitererzählen dürfen.
Aber die Neugier siegte. »Hat Peter sonst noch was erzählt?«
»Als er dreizehn war oder so, haben sie ihn der Mutter weggenommen und in ein Waisenhaus gebracht. Peter hat ihn vor ein paar Jahren über Bruno kennengelernt. Er hat sich seiner wie ein Vater angenommen, und jetzt will er ihn dazu ermutigen, dass er noch studiert. Wie Peter sich um ihn kümmert, das ist wirklich was Besonderes.«
Ich spürte, dass ich jetzt irgendeine Frage stellen, irgendeine Art von Interesse hätte bekunden
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