Der Geliebte
klopfte Eric auf die Schulter, als würden sie sich schon jahrelang kennen. Ich nahm einen kräftigen Schluck Wein.
»Wir haben Adressen ausgetauscht«, erklärte Eric. »Nächste Woche sind wir bei Betty und Theo zum Essen eingeladen. Sie hatten in den Niederlanden ein Restaurant, einen echten Nobelschuppen, wenn man Peter glauben darf, es wird uns also an nichts fehlen. Hat Theo dir schon erzählt, dass sie auch zwei Kinder haben? Zwei Jungs, ungefähr im selben Alter wie Isabelle und Bastian.«
Ich sah Theo an. »Da werden unsere sich freuen. Das Niederländische vermissen sie schon sehr, und sie haben hier noch keine richtigen Spielkameraden gefunden.«
»Das kommt irgendwann von selbst«, sagte Theo. »Bei uns hat es fast ein Jahr gedauert, bis sie Anschluss gefunden hatten, aber der Große ist jetzt schon mit einem Mädchen aus seiner Klasse ›zusammen‹. Als wir das letzte Mal in die Niederlande gefahren sind, zum Verwandtenbesuch, wollte er schon nicht mehr mit, weil er Juliette zu sehr vermissen würde.«
»Es gibt also noch Hoffnung«, bemerkte ich.
»Oh ja, bestimmt, mach dir keine Sorgen. Betty hatte am Anfang auch immer Angst, dass die Kinder hier nicht Fuß fassen würden, gerade weil es uns selbst hier so gut gefiel. Aber inzwischen ist das kein Problem mehr. Mit den chambres d’hôtes läuft es gut, die Kinder werden immer französischer, und man lernt nach und nach mehr Leute kennen. Ihr seid jetzt in der schwierigsten Phase: die Sanierung, der Wohnwagen, der ganze Papierkram … dein Mann hat mir schon alles erzählt.«
Die Band fing ein neues Stück an. Es klang entfernt kubanisch, nach echter Tanzmusik.
Im selben Augenblick hängte sich eine gewisse Brit an Theo. Sie zog ihn von uns weg, um ihn jemandem vorzustellen.
»Gefällt’s dir?«, fragte Eric.
Ich nickte. »Eine gute Idee von Peter. Und man lernt tatsächlich ein paar Leute kennen. Dieser Theo macht einen netten Eindruck. Hast du seine Frau schon getroffen, diese …
»Betty. Ja, ich habe gerade kurz mit ihr gesprochen. Ich glaube, du wirst sie auch mögen. Na ja, nächste Woche wirst du’s sehen. Das ist ein richtiger Networking-Abend, was? Lass uns da möglichst viel draus machen. Ich hab schon Blasen auf der Zunge vom vielen Reden. Wo sind eigentlich die Kinder?«
Ich beschrieb ihm, wo sich das Fernsehzimmer befand.
»Ich geh dann mal gucken, ob alles in Ordnung ist.«
»Gut.« Ich ging ein paar Schritte mit ihm mit, bis zum Wohnzimmer. An der Bar stand Michel und unterhielt sich mit Bruno und zwei jungen Frauen. Mit dem halbvollen Weinglas in der Hand, blieb ich in dem Bogendurchgang stehen. Wie hypnotisiert. Er war so schrecklich schön. Geradezu beängstigend. Schien ganz und gar in sich zu ruhen. Und in jeder Hinsicht strahlte er Kraft aus: in seinen Bewegungen, aber auch in der Art und Weise, wie er redete und lachte. Ein strahlendes Lächeln. Energie. Männlichkeit.
Ich nahm einen kräftigen Schluck Wein. Und noch einen.
»Hübscher Junge, was?«
Neben mir stand eine Frau von etwa Mitte dreißig. Sie war ein Stück kleiner als ich und hatte kurzes schwarzes Haar mit einzelnen roten Büscheln und hellgrüne Augen. Auf ihrer gebräunten Haut glitzerte Goldschmuck.
»Wie bitte?«, fragte ich.
Sie hob ihr Glas, um damit auf Michel zu deuten. »Du hast gerade zu ihm rübergeschaut, oder? Zu dem süßen Bengel dahinten. Michel. Der größte Charmeur Südfrankreichs.« Sie lächelte breit und zwinkerte mir mit ihren stark geschminkten Augen zu.
Ich kam zu dem Schluss, dass sie zu viel getrunken hatte. Genau wie alle anderen hier.
Vertraulich beugte sie sich zu mir vor und seufzte tief. »Der Kleine ist einfach … wie soll ich sagen … Siehst du die Neonschrift auf seiner Stirn?« Sie sah mir in die Augen und malte sich mit dem Zeigefinger von links nach rechts Buchstaben auf die Stirn: »S-E-X. Das steht da.«
Ich verschluckte mich beinahe an dem Wein und sah kurz in die andere Richtung. Fieberhaft suchte ich nach einer angemessenen Erwiderung, brachte aber keine zustande.
»Und dabei … arbeitet er doch bei euch, oder? Das hat Peter vorhin erzählt, dass Michel zu eurer Truppe gehört, zusammen mit Bruno und den beiden Antoines. Mit denselben Leuten hat er letztes Jahr unser Atelier fertiggemacht. Eine schöne Zeit war das.« Sie lächelte und wiegte ihren Oberkörper im Takt der Musik.
Ich antwortete noch immer nicht.
»Entschuldigung, ich habe mich gar nicht vorgestellt. Rita Stevens.«
Sie reichte mir
Weitere Kostenlose Bücher