Der Geliebte
die Hand. An ihren schmalen Handgelenken klimperte noch mehr Gold.
»Simone Jansen.«
»Ich hab vorhin schon deinen Mann kennengelernt, glaube ich. Eric heißt er, oder?«
Ich nickte.
»Peter hat uns einander vorgestellt. Netter Kerl. Er meinte, er hätte viel gelernt in der letzten Zeit. Letztes Jahr hätte er noch den Klempner gerufen, wenn bloß der Wasserhahn tropfte, und jetzt steht er sogar schon selbst auf dem Baugerüst. Was der Umzug in ein anderes Land nicht alles bewirken kann … Komisch, oder? Dass dieselben Leute sich plötzlich ganz anders benehmen als dort, wo sie geboren und groß geworden sind. Ganz neue Seiten an sich selbst entdecken.«
Eines musste man Rita lassen, sie redete nicht lange um den heißen Brei herum, aber ich verspürte keinerlei Bedürfnis, es ihr gleichzutun. Die bemerkenswerteste neue Seite, die ich an mir selbst entdeckt hatte, ging niemanden etwas an.
»Und du willst hier chambres d’hôtes aufziehen, oder?« Nachdem ich nicht reagiert hatte, versuchte sie, das Gespräch in Gang zu halten.
»Das habe ich vor, ja.«
»Gute Idee. An deiner Stelle würde ich noch irgendwas Zusätzliches anbieten. Zeichen- oder Kochkurse zum Beispiel. Dann kannst du das Dreifache verlangen. Ben und ich veranstalten Workshops für gestresste Manager, Vier-Tage-Kurse. Ein bisschen töpfern, leckeres Essen und dann wie neugeboren zurück in den Norden. Nach zwei Tagen ist alles wieder wie vorher, aber egal. Wir sind letztes Jahr hierher gezogen. Bereust du’s schon?«
Ich hob den Blick. Sie hatte Sommersprossen, wie mir erst jetzt auffiel. Vielleicht war sie ja ganz nett, aber eigentlich mochte ich sie nicht. Und ehrlich gesagt, hatte diese Aversion wahrscheinlich vor allem damit zu tun, wie sie Michel ansah und über ihn sprach.
»Ob ich es bereue?«, wiederholte ich.
»Ja, dass du hierher gekommen bist.«
»Nein, gar nicht. Es ist wunderbar hier.«
»Das ist es tatsächlich, wunderbar«, sagte sie und schaute noch einmal vielsagend zu Michel hinüber, der gerade mit einem etwa zwanzigjährigen Mädchen tanzte, mit ihr redete und sie anlächelte. Seine Tanzpartnerin hatte dunkle Locken, die ihr wie ein Wasserfall über die Schultern fielen, und eine Taille wie ein Stundenglas, über der sie ein kurzes Blumenkleid aus sehr dünnem Stoff trug. Mit großer Eleganz und einem strahlenden Lächeln drehte sie eine Art Pirouette. Ich spürte den Stachel der Eifersucht. War sie vielleicht … seine Freundin? Ich hatte ihn nie gefragt, ob er eine Freundin hatte. Oder war er gerade dabei, mit ihr zu flirten, um sie heute Nacht…
Während Rita weiter in Michels Richtung schaute, sagte sie: »Ben hat noch nie den Fuß auf eine Tanzfläche gesetzt. Kennengelernt habe ich ihn auf einem Barhocker, und da sitzt er heute immer noch. Niederländische Männer wissen mit ihrem Körper nichts anzufangen. Sie versteifen schon, wenn sie noch in der Wiege liegen. Und die wenigen, die es zumindest mal probieren, trampeln beim Tanzen herum wie Holzmarionetten oder sehen aus, als hätten sie sich in die Hose gemacht. Aber schau dir mal ihn an … diesen Körper …«
Was wollte die Frau von mir? Warum faselte sie ständig von Michel?
Im nächsten Augenblick stieß sie mich an, wobei sie ein bisschen Wein verschüttete. »Sag mal, Simone, so unter uns, von Frau zu Frau, denkst du eigentlich manchmal … ich meine, wenn dieser Kerl den ganzen Tag mit seinem göttlichen Körper bei euch rumläuft, stellst du dir dann nicht manchmal vor …«
»Entschuldige, ich muss mal zur Toilette«, unterbrach ich sie und flüchtete in den Flur.
In der Abgeschiedenheit der Toilette lehnte ich mich mit dem Rücken an die Wand aus kühlem Marmor. Ich schloss die Augen. Diese Rita, mit ihren Töpferkursen und ihrem von Michel gebauten Atelier. Mit dem letzten Rest gesunden Menschenverstands, der mir geblieben war, sagte ich mir, dass ich keinerlei Anlass hatte, mich von dieser Frau derart durcheinanderbringen zu lassen. Rita hatte einfach zu viel getrunken, genau wie alle anderen heute Abend. Und genau wie ich fühlte sie sich von Michel angezogen.
Ich wischte mir ein paar Schlieren des zerlaufenen Eyeliners ab, atmete tief durch und stürzte mich wieder ins Getümmel.
20
»Ich würde gern mal Kokain probieren«, hörte ich mich selbst sagen.
Peter war der Einzige, der reagierte. »Warum?«
Er hatte verdächtig glänzende Augen, aber das konnte auch am Alkohol oder am Zeitpunkt liegen.
Es war halb fünf Uhr
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