Der Geliebte
nur Gouda und, wenn man Glück hat, alten Amsterdamer. Mein Schwager hat einen Käsegroßhandel, also dachte ich mir, dass man es ja mal mit einem etwas breiteren Sortiment von holländischem Käse versuchen könnte. Und das mache ich jetzt immer noch.«
»Kannst du davon leben?«, fragte ich, dankbar, dass sie das Gespräch in Gang gebracht hatte. Vielleicht musste ich meinen ersten Eindruck korrigieren, eigentlich wirkte sie sehr freundlich.
»Jack ist vor vier Jahren in Rente gegangen. Zum Leben reicht es allemal, aber ich bin noch jung und will nicht den ganzen Tag im Liegestuhl am Pool rumhängen. Typisch Amsterdamer Mentalität wahrscheinlich. Ich muss immer irgendwas zu tun haben, sonst werde ich wahnsinnig.«
Ein Stück weit hinter Lucy stand die Band, umgeben von Verstärkungstechnik und Kabelgewirr. Drei südländisch aussehende Männer in gelben Hawaii-Hemden und glänzenden schwarzen Hosen. Der Sänger kündigte eine Pause an, dann lief eine CD mit spanischer Gitarrenmusik. Ich kannte das Stück, es war von Los … Los irgendwas.
»Magst du spanische Musik?«, fragte Lucy. Sie nahm einen Schluck von einem undefinierbaren roten Getränk mit Eiswürfeln.
»Ja, zum Tanzen, aber ich habe nicht besonders viel Ahnung davon.«
»Man braucht nicht von allem Ahnung zu haben. Was hast du denn in den Niederlanden so gemacht?«
Die Frage kam etwas plötzlich. Meine Vergangenheit war nicht so spannend, als dass ich auf Partys damit hätte angeben können. »Ich war auf der Berufsschule und hab dann ein paar Jahre als Chefsekretärin gearbeitet.«
»Für welche Firma?«
»Cap Gemini.«
Sie verzog das Gesicht. »Eine von diesen amerikanischen Firmen, wo immer alles ein bisschen kompliziert ist.«
»So schlimm war es gar nicht.«
»Du wolltest einfach ein bisschen mehr Ruhe, was?«
Ohne es selbst zu bemerken, hatte Lucy mir ein weiteres Mal aus der Patsche geholfen. Jetzt brauchte ich ihr nicht zu erzählen, dass ich nach Bastians Geburt zu arbeiten aufgehört hatte, weil es mir schwergefallen war, mein Kind immer den ganzen Tag in der Krippe zu lassen. Und dass ich danach noch zahllose Fernkurse in Psychologie gemacht und mich in die Philosophie vertieft hatte. Schließlich hatte ich das aber wieder sein lassen, weil es mir zu nahe ging und ich auch mit Eric nicht darüber reden konnte, der meistens todmüde nach Hause kam und außerdem viel bodenständiger und pragmatischer eingestellt war. Psychologie interessierte ihn vor allem in Bezug auf Marketing.
»Es war eigentlich mehr mein Mann, der hierher wollte«, antwortete ich.
Sie runzelte die Stirn. »Du nicht? Hinter so einem Schritt muss man doch gemeinsam stehen. Vor allem, wenn Kinder mit im Spiel sind. Die eigene Beziehung muss dafür wirklich tausendprozentig in Ordnung sein, sonst verlierst du unter Umständen ganz schnell den Boden unter den Füßen. Ein fremdes Land, eine fremde Sprache, dann ist irgendwas mit dem Haus, man schlägt sich mit Provisorien durch und so weiter. Einen besseren Nährboden für eine Ehekrise gibt es gar nicht, das kannst du mir glauben.«
»So habe ich es nicht gemeint«, entgegnete ich und nahm einen Schluck Wein. Meine Hand zitterte. »Ich wollte nur sagen, dass die Idee hierher zu ziehen, nicht von mir kam. Chambres d’hôtes sind schon immer mein Traum. Dass der tatsächlich eines Tages Wirklichkeit würde und dann auch noch in Frankreich, hätte ich nie für möglich gehalten.«
»Na, dann sei mal froh, dass dein Mann die Initiative ergriffen hat. Man lebt schließlich nur einmal.«
Plötzlich entdeckte ich Michel. Er stand in dem bogenförmigen Durchgang, der zur Diele führte, schräg unter einem Strahler, und suchte den verrauchten Raum mit Blicken ab. Ich musste mich enorm zurückhalten, um nicht einfach auf ihn zuzurennen. Stattdessen schaute ich schnell um mich, ob Eric irgendwo in der Nähe war.
Michel hatte mich bereits gesehen. Er grinste, zwinkerte mir zu und war im nächsten Augenblick verschwunden. Ich hielt die Luft an.
Dass jemand wie Michel für relativ geringen Lohn auf Baugerüsten arbeitete und noch nicht von irgendeiner Castingagentur entdeckt worden war, grenzte an ein Wunder. Wahrscheinlich wurde nach jungen Talenten immer nur in den Großstädten gesucht und nicht in verschlafenen Provinznestern.
Lucy redete immer weiter. Ihr Monolog wurde allmählich zu einem undifferenzierten Hintergrundgeräusch.
»Entschuldige«, unterbrach ich sie, »ich muss mal kurz wohin.«
Schnell ging ich
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