Der Geliebte
dem Fernseher auf dem Teppich und sahen uns neugierig an. Ermutigt von Claudia, gesellten sich Isabelle und Bastian schüchtern dazu.
»Papa und Mama sind irgendwo hier im Haus, ja?« Ich knuffte sie zum Abschied in die Schultern. »Meint ihr, ihr könnt euch hier ein bisschen selbst beschäftigen?«
Sie nickten. Eins der anderen Kinder hielt Isabelle ein Schälchen mit Süßigkeiten hin.
Bastian machte es sich bequem und wandte sich dann an einen Jungen in seinem Alter: »Kommst du auch aus den Niederlanden?«
Der andere nickte verlegen.
»Gibt es hier auch Cola?«
Der Junge zeigte auf eine Anrichte. Neben einem Turm aus zusammengesteckten Plastikbechern standen Flaschen mit Softdrinks und Fruchtsaft.
»Komm«, sagte Claudia, »die amüsieren sich schon ohne uns. Ich würde dich gern ein paar Leuten vorstellen.«
Nachdem ich den Kindern einen letzten Blick zugeworfen hatte, folgte ich ihr durch die Flure. Die meisten Zimmertüren standen offen: viele Klamotten, eine gemütliche Inneneinrichtung mit viel Stein, Leder und Holz. Das Haus war enorm, noch größer als unseres.
»Schade, dass der Sommer vorbei ist«, sagte Claudia. Ihre Absätze klackerten auf dem Boden. »Sonst hätten wir draußen feiern können. Manchmal kann man noch im Dezember draußen grillen, aber diese Woche war das leider nicht drin.«
»Zumindest regnet es nicht mehr«, antwortete ich.
»Nein, zum Glück nicht.«
Claudia führte mich in einen großen, zentral gelegenen Raum. Wahrscheinlich das Wohnzimmer, dreimal so groß wie unseres in den Niederlanden. Niedrige Decken mit dunkelbraunen Balken. Überall standen kleine Gruppen von Menschen herum. Ich schätzte die Zahl der Gäste auf über hundert.
Noch immer hielt ich Ausschau, ob ich nicht doch irgendwo Michel entdeckte.
»Die Bar ist hier.« Claudia zeigte auf einen kleinen Tresen in der Ecke. Dahinter stand ein kleinwüchsiger, magerer junger Mann mit dunklem kurzen Haar. »Was möchtest du trinken?«, fragte Claudia.
»Ein Glas Rotwein.«
Der Barkeeper schenkte ein und reichte mir das Glas. Claudia winkte mir bereits wieder. »Komm, Leute kennenlernen.«
Zielstrebig ging sie auf eine kleine Gruppe von Menschen zu und berührte eine Frau freundschaftlich am Arm, die sich sofort zu mir umdrehte und mich interessiert ansah.
»Lucy, darf ich dich Simone vorstellen? Sie und ihr Mann sind hier vor ein paar Monaten hergezogen. Sie haben zwei Kinder, die noch in die Grundschule gehen, und Simone will hier mit chambres d’hôtes anfangen.«
Lucy war hellblond, und ihre Haut hatte viel Sonne abbekommen. Sie trug einen kurzen Rock und eine schwarze Bluse mit tiefem Ausschnitt. Ich schätzte sie auf Ende vierzig. Wir gaben einander die Hand.
»Lucy kommt aus Amsterdam«, sagte Claudia. »Sie hat sich vor vier Jahren hier niedergelassen und verkauft auf dem Markt niederländischen Käse.«
Ich nickte Lucy freundlich zu, wusste aber eigentlich nicht, was ich sagen sollte. In großer Gesellschaft hatte ich mich noch nie so richtig wohl gefühlt. Hinzu kam, dass Lucy auf den ersten Blick nicht mein Typ war. Aber meine Auswahl an Gesprächspartnern war im Moment nicht so groß, dass ich auch noch Ansprüche hätte stellen können.
Girrend stürzte Claudia sich auf das nächste Paar, das im Wohnzimmer erschien, und verschwand aus meinem Blickfeld.
» Chambres d’hôtes , die Idee hatte ich anfangs auch«, vertraute Lucy mir an. »Ich hatte sogar schon ein Haus gekauft, na ja, nicht ich allein, sondern zusammen mit ihm.« Sie deutete auf einen älteren Mann, der mir wohlwollend zuzwinkerte, als unsere Blicke sich trafen. »Genügend Platz, ein eigener Aufgang für die Gäste und ein Schwimmbad. Ein volles Jahr war ich mit der Einrichtung beschäftigt, und mit dem Garten. Aber ich tauge einfach nicht zur Gastgeberin. Die Leute können herumnörgeln, das glaubst du gar nicht. Sie wollen Urlaub à la campagne machen, aber beschweren sich, wenn der Wasserdruck in der Dusche nicht optimal ist oder Eidechsen durchs Schlafzimmer laufen. Und dann mögen sie keinen Fisch oder sind gleich Vegetarier, und plötzlich stehst du tagelang in der Küche, um quasi maßgeschneidertes Essen auf den Tisch zu bringen, und dann ist es manchen Leuten immer noch nicht gut genug. Den meisten hat es zwar gefallen, aber die Beschwerden merkst du dir natürlich eher. Und sie rauben dir alle Kraft. Irgendwann war ich es wirklich leid.«
»Und dann hast du mit dem Marktstand angefangen?«
»Ja, man bekommt hier
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