Der Geliebte
dabei sein wollte. Für die Fertigstellung unseres linken Flügels wurde er nicht mehr gebraucht, meinte er. Zwei, allenfalls drei Arbeiter reichten dafür bei Weitem aus. Seit letztem Dienstag waren nur noch Louis, Pierre-Antoine und Antoine bei uns. Peter war am Montag noch mal vorbeigekommen, um uns das zu erzählen und die drei Jungs, die vorläufig bei uns weiterarbeiten würden, zu instruieren. Ab nächster Woche würde er nur noch jeweils am Montagmorgen kurz auftauchen, um zu schauen, wie es voranging. Und natürlich um das Geld für die vergangene Woche abzuholen. Jede Woche bekam Eric eine Abrechnung mit den Arbeitsstunden. Eric bezahlte bar, Peter zeichnete ab, und so blieben wir, wie er das nannte, »immer auf dem aktuellen Stand«. Mir war es ganz recht, dass Peter fast nicht mehr kam, denn es fiel mir schwer, ihm noch in die Augen zu sehen, vor allem wenn Eric oder die Kinder dabei waren.
So, wie es jetzt lief, war es für alle besser.
Trotzdem vermisste ich die Jungs. Ich hatte mich an das Kochen für eine große Truppe, an das lebhafte Treiben im Haus und rundherum, an den Gesang der Arbeiter schon so richtig gewöhnt. Und auch heute, am dritten Tag, war es mir noch nicht gelungen, für die kleiner gewordene Gruppe die richtige Menge an Essen zu kalkulieren.
Eric stieß mich an und holte mich wieder in die Gegenwart des Gemeindesaals zurück. »Großartig, Simone, guck dir den Kleinen da an. Der hat Talent, siehst du das? Er genießt es richtig, dass er so viel Aufmerksamkeit bekommt.«
Ich schrak auf. »Ja«, sagte ich leise, wobei ich den Impuls unterdrückte, mit oui zu antworten, um unter all den Franzosen weniger aufzufallen. Ein Mann, der schräg vor uns saß, drehte sich nach uns um. Ich erkannte ihn, konnte mich aber nicht erinnern, wessen Vater es war. Er erwiderte mein Lächeln und wandte sich dann wieder dem Geschehen im vorderen Teil des Saals zu.
Eric lehnte sich zu mir herüber. »Siehst du Isabelle mit ihren Zöpfen? Die maîtresse muss mit all den Mädchen ganz schön viel Arbeit gehabt haben.«
»Ja, das sieht lieb aus.«
»Musst du auch mal machen.«
»Ich, Zöpfe?«
»Ja, bei Isabelle. Die stehen ihr gut.«
Meine Reaktion ging im Beifall unter. Der Saal wurde nun von Neonröhren an der Decke grell erleuchtet. Die Leute standen auf und schoben sich zwischen den aufgereihten Holzstühlen hindurch Richtung Aula. Gespräche, Händeschütteln. Manche liefen gleich nach draußen, um eine Zigarette zu rauchen. Am liebsten wollte ich sofort weg, aber wir mussten noch auf die Kinder warten, bevor wir hier rauskonnten.
In der Aula standen ein paar Tische zusammen. Dahinter hatten sich zwei resolute Frauen zwischen fünfzig und sechzig mit kurzen Jacken und weißen Blusen postiert, die Plastikbecher mit Fruchtsaft, Wasser oder Rotwein füllten. Beiläufig griff ich nach einem Becher mit dunkelrotem Inhalt. Ein bisschen Alkohol kam mir jetzt ganz gelegen. Eric nahm sich auch einen Becher und stand dann schweigend neben mir. Leute liefen an uns vorbei, nickten freundlich, manche gaben mir die Hand. Ich stellte ihnen Eric vor, aber über das übliche ça va? und ein freundliches Lächeln ging es nicht hinaus.
»Klappt prima mit der Integration, was?« Ich hatte mir die Bemerkung nicht verkneifen können, auch wenn ich mir gleich hinterher am liebsten die Zunge abgebissen hätte.
Eric blickte um sich. »Erinnerst du dich noch an die beiden Iraker in Amsterdam?«
Ich nickte. Vor zwei Jahren war ein Paar aus dem Irak zu uns ins Viertel gezogen. Sie hatten zwei Töchter, die auf die Schule von Bastian und Isabelle gekommen waren. Die Eltern waren gebildete Menschen gewesen, er Ingenieur oder Professor an der Uni. Sie waren aus ihrer Heimat geflüchtet, um in den Niederlanden ein neues Leben anzufangen. Besser denn je verstand ich mittlerweile, wie unglaublich schwer es für sie gewesen sein musste. Ich konnte nichts dafür, aber ich musste sofort an Michel denken. Bestimmte Formen der Integration kannten keine Sprachbarrieren.
»Du meinst, dass die auf solchen Abenden auch immer ein bisschen verloren herumstanden«, antwortete ich matt.
»Sprachprobleme«, sagte Eric. »Bei festlichen Anlässen haben die Leute keine Lust auf stockende Konversation. Aber das gibt sich schon, wenn wir erst ein bisschen länger hier wohnen.«
Das hoffte ich auch. Sicher war ich mir nicht. Sicher war ich mir in keinerlei Hinsicht mehr. Eigentlich zweifelte ich gegenwärtig an allem, an der ganzen
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