Der Geliebte
ihn war jede Fahrt in die Stadt ein Glückslos, bei dem als Gewinn irgendein Geschenk oder eine Tüte Süßigkeiten winkte. Ich verwöhnte ihn zu sehr.
»Nein, mein Liebling, Mama will heute mal allein weg, ohne euch Kinder.«
Eric hob die Brauen.
»Ich hab da jetzt keine Lust drauf«, sagte ich bissig. »Ich will einfach mal … einfach mal in Ruhe einkaufen. Ich brauche auch einen neuen Rock.«
Eric zuckte mit den Schultern. »Mama will euch nicht dabeihaben, Kinder. Vielleicht nächstes Mal.«
»Aber ich bringe euch Schokolade mit«, sagte ich, um den beiden ihr Leid zu versüßen.
»Ein Überraschungsei?«, bettelte Bastian.
»Ja, aber das gibt es dann erst morgen. Wenn ich nach Hause komme, seid ihr bitte schon im Bett.« Letzteres war eine verkappte Handlungsanweisung an Eric. Nicht dass die irgendwas bringen würde, aber ich versuchte es immer wieder.
Der Supermarkt in der Stadt war mit dem DEEN bei uns im Dorf überhaupt nicht zu vergleichen. Ein Unterschied wie Tag und Nacht. Neben diesem französischen LeClerc schrumpfte unser alter Dorfsupermarkt zu einem Krämerstand auf dem Mittwochsmarkt zusammen. Der LeClerc war fast schon ein Abenteuerpark. » Grande surface «, sagten die Jungs von der Baustelle dazu, wörtlich »große Oberfläche«, und das war noch stark untertrieben. Der Supermarkt war in jeder Hinsicht gigantisch, sowohl was die Fläche, als auch was die Auswahl anging. Es konnte einem schwindelig davon werden. Reihenweise Nachspeisen, verschiedene Sorten Öl, jede Menge Fleisch, Fisch, Schalentiere, Käse, Brot, Schokolade, Südfrüchte, Getränke, Unterwäsche, Geschirr, elektronische Geräte, Bücher. Tausende Quadratmeter Verkaufsfläche, man konnte sich in dem Laden verlaufen, ganze Tage darin zubringen. Isabelle und Bastian standen immer vor der Fleischtheke und starrten mit offenem Mund die am Stück erhältlichen Kuhzungen, Schafsherzen und sonstigen, nicht weniger spektakulären anatomischen Einzelteile von allerlei Huftieren an, die wir in den Niederlanden lediglich aus Bilderbüchern kannten. Am Fischstand lagen zur Dekoration zwischen den Lachsfilets mitunter echte Haifischköpfe mit ausdruckslosen, starren Augen, die die Kinder stets sensationslüstern von allen Seiten begutachteten. Auch das Aquarium mit den lebenden Krebsen war rasch eine Zielscheibe ihres morbiden Interesses geworden.
Da ich diesmal alleine war, beschränkte ich mich auf die Dinge, die auf meiner Einkaufsliste standen, sodass alles viel schneller ging. Um die Tiefkühlabteilung machte ich einen großen Bogen. Nachdem ich an einer der siebenunddreißig Kassen bezahlt hatte, ging ich noch rasch in einen Modeladen, der sich unter demselben Dach befand. Meinen Einkaufswagen ließ ich unbeaufsichtigt am Eingang stehen. Das hatte ich schon öfter gemacht, es hatte nie Probleme gegeben.
An einem Ständer mit Abendgarderobe fand ich einen schwarzen Stretchrock aus Baumwolle. Etwas weiter nahm ich ein paar BHs von einem Ständer. Schwarze Spitze, Dreiviertel-Körbchen. Ich probierte den Rock an, drehte mich vor dem Spiegel. Stemmte die Hände in die Hüften, drehte mich noch einmal. Das Ding war schon ziemlich kurz. Zu kurz? War das noch was für mich? Das unbarmherzige Licht, das jede Unebenheit an meinen nackten Beinen betonte, setzte meinem Selbstvertrauen doch ein bisschen zu. Ich beschloss, den Rock trotzdem anzubehalten, schließlich war das Licht nirgends so unvorteilhaft wie in dieser Ankleide - was eigentlich unbegreiflich war.
Von den BHs passte mir ein einziger, ein Modell, wie ich es schon seit zehn Jahren nicht mehr getragen hatte. Ich betrachtete mein Spiegelbild und konnte nicht anders, als mir selbst zuzulächeln.
Mit zwei vollen Einkaufstaschen auf der Rückbank bog ich in die Rue Charles de Gaulle ein. Eine breite Straße mit vielen alten Fassaden, hohen Gebäuden, einer Menge Ampeln und keinerlei Bäumen. Geschweige denn Parkplätzen. Es war dunkel geworden, die orangefarbenen Laternen waren bereits angegangen. Ich fuhr an schmalen Gassen mit heruntergekommenen Häusern vorbei, die links und rechts von langen Schlangen geparkter Autos gesäumt wurden. Das ehemalige Krankenhaus, in dem Michel wohnte, sah düster aus. Ein großer unpersönlicher Plattenbau mit einem Haupteingang in der Mitte. In einer der Seitenstraßen ließ ich den Volvo stehen. Ein kühler Herbstwind strich mir um die nackten Beine. Ich blickte um mich. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Vom Licht der Laternen an
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