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Der Geliebte

Titel: Der Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
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von mir weg.
     

37
     
    Rinder sind farbenblind. Für uns ist das Gras grün, aber für eine Kuh ist es grau, und wenn eine Kuh mit uns diskutieren könnte, würde sie uns herablassend erzählen, dass wir uns all das Grün nur einbilden.
    Nicht immer sind Unterschiede in der Wahrnehmung anatomisch zu erklären. Bei der Rekonstruktion eines bestimmten Ereignisses gleicht kein Augenzeugenbericht dem anderen. Farben, Gesichtsausdrücke, Worte, Intonationen, Orte, Distanzen, Zeitpunkte und Geräusche - all dies wird von verschiedenen Augenzeugen unterschiedlich wahrgenommen. Und alle verteidigen sie die einander widersprechenden Behauptungen aus voller Überzeugung - genau wie die Kuh es täte, wenn sie sprechen könnte.
     
    »Worum ging es denn gestern bei Peter?«, fragte ich.
    Die Jungs waren weg, wir hatten gegessen, und die Kinder lagen im Bett. Ein Tag wie jeder andere, mit dem Unterschied, dass mir diese Frage die ganze Zeit auf der Zunge gelegen hatte. Quasi den ganzen Tag hatten wir unter demselben Dach verbracht, aber erst jetzt, um zehn Uhr abends, kamen wir dazu, uns in Ruhe zu unterhalten.
    Eric saß neben mir im Wohnzimmer und spielte mit einem Taschenrechner. »Peter besitzt ein Stück Wald, drei Hektar. Es hat ihn Jahre gekostet, eine CU dafür zu bekommen, und …«
    »CU?«
    »Dingsda Urbanisation … eine Baugenehmigung oder so was. Die hat er jetzt gekriegt. Also kann er anfangen. Zwölf Häuser will er über die Fläche verteilt hochziehen, Holzhütten. Die ersten zehn Jahre will er sie vermieten und sie danach als Landhäuser losschlagen, an Ausländer oder Leute aus Paris.«
    »Und warum erst vermieten?«
    »Weil man bei sofortigem Verkauf einen Großteil des Gewinns an den Fiskus loswird. Der Prozentsatz sinkt nach ein paar Jahren. Wenn man die Häuser also erst eine Weile vermietet, schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe: Man bekommt Geld rein, für das man keine oder so gut wie keine Steuern zahlen muss, und wenn man sie später verkauft, zahlt man noch mal weniger an den Staat. Peter betrachtet die Hütten als Altersversicherung. Er hat ausgerechnet, dass der Bau kaum mehr als zwanzigtausend pro Haus kosten wird, womöglich sogar weniger. Den Grund und Boden besitzt er schon, und die Zeichnungen sind auch fertig. Er hat mir alles gezeigt, die Skizzen, einen Lageplan und die Berechnungen, es sieht rundherum gut aus. Es muss nur ein Anfang gemacht werden. In etwa zehn Jahren, schätzt er, sind die Häuser hundert- bis hundertfünfzigtausend wert. Ein beträchtlicher Gewinn, und bis dahin bekommt man noch die Miete rein. Bis zum Verkauf kosten die Häuser also praktisch nichts.«
    »Und was wollte er jetzt von dir?«
    »Zum einen wollte er wissen, ob wir einen Teil der Vermietung übernehmen würden. Das schien mir kein Problem. Und zum anderen braucht er Geld.«
    Ich setzte mich aufrecht hin. Meine Miene erstarrte. »Geld?«
    »Ja. Ich hab mich auch gewundert, ich dachte immer, Peter wäre ziemlich begütert, aber dem scheint nicht so zu sein. Da sieht man mal wieder, wie man sich täuschen kann, wenn man sich auf den äußeren Schein verlässt. Teures Haus, schicker Wagen … das Fest damals hat auch ein bisschen was gekostet, glaube ich. Aber anscheinend kann man Peter auf den Kopf stellen, und es fällt kein loser Cent aus seinen Taschen. Also möchte er gern, dass ich mich beteilige.«
    Ich gab mir die größte Mühe, Ruhe zu bewahren. Dass Peter angeblich kein Geld haben sollte, wollte mir nicht in den Kopf.
    »Aber«, begann ich, »Peter hat doch vierzig Leute, die für ihn arbeiten. Und er hat immer genügend Aufträge, sagt er. Wie bezahlt er denn die Leute und das Baumaterial?«
    »Von dem Stundenlohn der Jungs springt für ihn nur ein Bruchteil heraus, meint er. Hinzu kommen Versicherung und Lohnnebenkosten. Von dem, was übrig bleibt, kommt er anscheinend gerade so über die Runden. Nicht ohne Grund legt er auch immer selbst mit Hand an. Und wenn er abends nach Hause kommt, ist der Arbeitstag für ihn noch nicht zu Ende.«
    Ich wurde allmählich nervös. »Peter hat also dieselben Pläne, die du auch hattest, als wir uns entschlossen haben, hierher zu ziehen. Drehst du jetzt nicht die Rollen um? Du kannst doch auch ohne ihn Häuser bauen. Du brauchst Peter doch überhaupt nicht.«
    »Doch, schon. Was den Bau und das ganze Drumherum angeht, habe ich in den letzten Monaten viel dazugelernt, aber an Peters Kompetenz komme ich bei Weitem noch nicht heran. Er hat Erfahrung,

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