Der Geliebte
abzubringen.
Trrring.
»Simone.«
Knackende Geräusche am anderen Ende der Leitung. Eine Männerstimme, die sich gehetzt anhörte, irgendetwas auf Französisch. Schwer zu verstehen.
» Comment? «, fragte ich.
» C’est moi. «
Moi?
Sprach Peter jetzt Französisch?
Ich runzelte die Stirn. Wer war das? Schnell sah ich auf die Uhr, halb elf.
»Bist du allein?«
Mein Gott … diese Stimme … Michel!
Mein Herz fing an zu rasen, eine Hochdruckpumpe auf vollen Touren.
Mit beiden Händen umklammerte ich den Hörer.
»Äh … ja«, sagte ich mit zittriger Stimme.
Meine Gefühle fuhren Achterbahn, ich war erst apathisch, dann verstört, dann wütend, und im nächsten Moment wusste ich überhaupt nicht mehr, was ich fühlen, denken oder tun sollte.
Michel.
Alle möglichen Gedanken sausten mir durch den Kopf. Ich hatte Grund, böse auf ihn zu sein, ich musste ihn fragen, wo er war, ihm sagen, dass ich … oder? Tränen traten mir in die Augen.
»Simone? Bist du noch dran?«
»J-ja.«
»Ich bin in …«
Was er dann sagte, verstand ich wieder nicht. Es klang wie les Pays-Bas, die Niederlande. Am anderen Ende der Leitung nahm der Redeschwall kein Ende. Warum sprach er so schnell? Meine grauen Zellen spielten nicht mehr mit, ich versuchte mich auf seine Worte zu konzentrieren, aber ohne dass ich ihn vor mir sah, schaffte ich es nicht so gut.
Eigentlich schaffte ich es überhaupt nicht. Kein Wort bekam ich mit.
» Arrête - hör auf …« Ich konnte den Satz nicht mehr zu Ende führen.
Die Haustür ging auf. Eric. Vor ihm her kam Bleu in die Diele gelaufen. Mit Atemwölkchen vor der Schnauze trottete er munter auf mich zu.
Reflexartig legte ich auf.
Im nächsten Moment traf mein Blick Eric. Wüst starrte ich ihn an. Begann zu weinen. Nicht still und leise, sondern bitterlich und laut, hemmungslos.
Wie in Zeitlupe sah ich ihn auf mich zukommen. Sein Gesicht war von der Kälte ganz rosig. Er schlang die Arme um mich und zog mich ganz nahe an sich.
»Entschuldige«, hörte ich ihn sagen. »Ich hätte nicht so überreagieren sollen. Ich … wir haben einfach zu viel um die Ohren im Moment. Viel zu viel. Entschuldige, Liebste. Wir sprechen nicht mehr darüber, okay? Wir bringen erst diese Sache hier zu Ende, wir beide zusammen, okay? Es eilt ja alles nicht.«
Er gab mir einen Kuss auf die Stirn und wischte mir mit dem Daumen die Tränen von der Wange, was allerdings nicht viel nützte. »Komm, wir gehen nach oben, du bist ja ganz durchgefroren.«
38
»Du rufst auch nie an!«
Miranda. Ihr letzter Anruf lag ein paar Monate zurück. Damals hatte die Truppe von Bauarbeitern gerade bei uns angefangen. Die Sonne hatte geschienen, und es war warm gewesen.
Das schien nun Lichtjahre her zu sein. Szenen aus einem früheren Leben.
Jetzt stand ich im Wintermantel vor den Kochtöpfen. »Ich komme einfach nicht zum Telefonieren.«
»Aus den Augen, aus dem Sinn, was? Simone, das ist wirklich nicht mehr schön, weißt du? Wir alle vermissen dich schließlich. Hannah hat gestern noch nach dir gefragt. Sie ist wieder mit Fred zusammen. Und wir haben uns vorgenommen, euch im Frühjahr mal zu besuchen. Sind die Gästezimmer dann fertig?«
»Ich glaube, eher nicht.« Miranda war die Letzte, mit der ich sprechen wollte. Eine Stimme aus einem früheren Leben. Einem Leben, zu dem sie ganz selbstverständlich dazugehört hatte.
»Ach. Na ja, schauen wir mal. Vielleicht kommen wir dann im Sommer. Läuft es denn halbwegs? Wie weit seid ihr eigentlich?«
»Die Schlafzimmer sind fertig und das Bad auch, aber das ist für die Gäste. Mit dem Rest sind sie noch zugange.«
»Meine Güte, wird das ein Zehn-Jahres-Plan bei euch? So ähnlich wie bei No going back ? Kennst du die Sendung? Oder guckt ihr nur noch französisches Fernsehen?«
»Nein, wir haben eine Schüssel, und die französischen Sender habe ich noch nicht mal gesucht - keine Zeit. Aber wir sehen sowieso nicht viel fern.«
»Und wie geht es den Kindern? Haben sie es in der Schule nicht furchtbar schwer? Zwischen all den dunkelhaarigen Kindern fallen sie bestimmt auf, oder?«
»Hier gibt es genauso viele blonde Kinder wie in den Niederlanden«, sagte ich. »Die Lehrerin von Isabelle hat blonderes Haar als Eric.« Dabei gedachte ich es zu belassen.
In Gedanken sah ich Miranda im Kreise der anderen Mütter vor der Schule in den Niederlanden stehen und wie sie den Kopf darüber schüttelten, wie man so verantwortungslos sein konnte, seine Kinder der
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