Der Geliebte
hatte ich zu rauchen aufgehört, aber wenn man mir jetzt eine angeboten hätte, hätte ich sie zweifellos genommen.
Plötzlich erschrak ich: Jemand kam nach oben. Schwere, trampelige Schritte im Treppenhaus.
Der junge Typ, der im nächsten Moment im Flur auftauchte, hatte ein kantiges Gesicht und dunkelbraune Rastalocken, die er unordentlich hinter dem Kopf verknotet hatte. Ein viel zu großer Parka und ausgelatschte Springerstiefel. Im Vorbeigehen musterte er mich eindringlich, fast schon feindselig. Ich erkannte ihn wieder: Er hatte Michel kurz die Hand gedrückt.
» Bonjour «, sagte ich.
Er blieb stehen und schaute über die Schulter zu mir zurück. Hellgrüne, leicht hervortretende Augen, die wegen seines dunklen Teints aussahen wie geschminkt.
»Ich suche Michel.«
Nicht einmal eines Augenzwinkerns hielt er mich für wert. Er steckte die Hände in die Taschen und wollte schon weitergehen.
Ich tat ein paar Schritte auf ihn zu. »Ich kann ihn nicht erreichen«, stammelte ich. »Sein Handy ist ausgeschaltet. Schon seit gut zwei Wochen. Normalerweise ist er immer erreichbar. Ich habe Angst, dass er krank geworden oder ihm irgendwas passiert ist.«
Als ich schon zu zweifeln anfing, ob mein Gegenüber überhaupt der menschlichen Sprache mächtig wäre, antwortete er schließlich: »Ich habe ihn auch schon eine Weile nicht mehr gesehen.«
Mein Blick hellte sich auf. »Ist er vielleicht umgezogen? Oder in den Ferien?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
Er blickte mich derart starr an, dass ich mich allmählich unwohl fühlte. Dieser Blick machte mir wieder bewusst, dass ich mich in einem Stadtteil befand, der, vorsichtig ausgedrückt, kein besonders nobler war, und gerade in einem völlig verlassenen Hausflur ohne Fenster einem Typen gegenüberstand, der mir vorkam wie ein kontaktgestörter Drogenabhängiger.
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, er lächelte, was ihn nicht viel sympathischer machte. »Aber ich bin da. Möchtest du was trinken … oder so?«
Ich wich zurück. »Nein, danke. Ich muss los.«
Als wäre mir der Teufel auf den Fersen, lief ich über den langen Flur zurück, die Treppe hinunter und nach draußen.
Im Auto drückte ich den Knopf der Zentralverriegelung. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich wusste nicht, ob es bloß meine überreizten Nerven waren, die meiner ohnehin schon getrübten Wahrnehmung etwas vorgegaukelt hatten, oder ob ich tatsächlich gerade einer schrecklichen Situation entronnen war. Eines wusste ich sicher: Hierher würde ich nie mehr zurückkehren.
36
Der flackernde Fernsehbildschirm bombardierte uns mit Werbung. Parfum, Best-of-CDs, Getränkemarken. Weihnachten stand vor der Tür.
Isabelle und Bastian lagen mit den Sofakissen auf dem Fußboden. Gedankenverloren zupfte Isabelle an den ramponierten Ohren von Ninchen herum.
»Ist es okay, wenn ich heute Abend mal eine Weile weg bin?«, fragte Eric.
Es war weniger eine Frage als vielmehr eine höfliche Mitteilung.
»Wo willst du denn hin?«
»Zu Peter.«
Zu Peter? Abends?
»Was willst du denn da?«
»Peter hat gestern gefragt, ob ich Lust hätte, mal vorbeizuschauen, weil er mit mir über ein bestimmtes Projekt reden wollte.«
»Du alleine?«
»Hättest du denn mitgewollt? Ich dachte nicht, dass du dich darum reißen würdest, einen Abend lang über Häuser und Baugenehmigungen zu reden.«
»Das stimmt. Aber was will Peter denn von dir?«
»Er hat ein Grundstück, mit dem er irgendetwas machen will, was vielleicht auch für uns interessant sein könnte.«
Forschend sah ich Eric an. »Ich habe dabei kein besonders gutes Gefühl, Eric. Ich meine, ich würde mich in geschäftlicher Hinsicht lieber nicht zu sehr mit Peter einlassen.«
»Ich mache doch erst mal gar nichts. Ich will mir nur anhören, was er zu sagen hat. Etwas lernen kann ich dabei auf alle Fälle. Er hat hier eine Menge Kontakte, er weiß, wie der Hase läuft.«
Ich musste mir irgendetwas einfallen lassen. Dass die Dinge jetzt eine solche Wendung nahmen, gefiel mir überhaupt nicht.
Mein Kopf war wie leergefegt.
Eric stand auf. »Na, dann breche ich lieber mal auf. Dann bin ich zumindest noch vor zwölf wieder hier.«
Er küsste mich auf die Stirn, strich den Kindern übers Haar und trat in den Flur hinaus, von wo ein kalter Lufthauch in den Raum zog.
Drei Stunden später lagen Isabelle und Bastian friedlich im Bett, und ich blätterte die Kontoauszüge durch, den gelben Ordner auf dem Schoß balancierend, während ich
Weitere Kostenlose Bücher