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Der Geliebte

Titel: Der Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
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medizinischen Untersuchungen des Auges eingesetzt, um die Pupille zu weiten. Zehn bis zwölf Beeren reichten, um jemanden zu ermorden, alternativ auch ein halbes Gramm der Blätter. Die konnte ich problemlos in einen Salat mischen. Es würde wahrscheinlich bitter schmecken, aber das ließ sich mit einem schweren, süßen Dressing kaschieren.
    Fingerhut und Tollkirsche waren aber keineswegs die einzigen tödlichen Pflanzen. Es eröffneten sich mir ganz neue Horizonte. Aus bestimmten Mohnsorten wurden Opium und Heroin gewonnen, und das Öl aus den Samen des afrikanischen Wunderbaums war selbst in minimaler Dosierung schon tödlich.
    Ich schaute nach draußen. November. Beeren oder Blumen wären jetzt kaum noch zu finden.
    Natürlich fehlte auf der Liste auch Zyankali nicht, der einzige Giftstoff, den ich vom Namen her kannte. Geschmacksund geruchsneutral, schnell und effektiv. Zyankali wirkte auf das Atemzentrum, man brauchte bloß eine Spur davon zu sich zu nehmen, schon ging es mit dem Leben schnell zu Ende. Wie man an das Zeug herankam, stand nicht dabei, was mich in gewisser Hinsicht beruhigte. Die Vorstellung, dass angehende Giftmischer sich ihre tödlichen Informationen in aller Ruhe zu Hause vor dem Computer zusammensuchen konnten, war nicht gerade angenehm.
    Ich tippte auf Niederländisch »cyaankali« ein und ließ die Suchmaschine ihre Arbeit tun. Sechshundert Treffer, es wurde immer übersichtlicher.
    Ein Rezept zur Herstellung von Zyankali zu finden schien letztlich doch gar nicht so schwer zu sein. Man brauchte Ammoniak, las ich, das man auf eine erhitzte Mischung aus Pottasche und Holzkohle einwirken lassen musste. Was dabei herauskam, sah so ähnlich aus wie Zucker, wurde andernorts berichtet, war jedoch Zyankali. Terroristen lagerten den Stoff fässerweise, wie man auf einer weiteren Webseite erfahren konnte.
    Die weltlichen Güter waren wieder mal ungerecht verteilt.
    Pottasche? Ich gab das Wort als Suchbegriff ein. Es handelte sich anscheinend um Kaliumkarbonat, wie es Glasmacher als Grundstoff benutzen. Gewonnen wurde es aus der Asche von Birken und Eichen. Tausende Kubikmeter musste man niederbrennen, um einen drei viertel Kubikmeter Pottasche zurückzubehalten.
    Was ich noch nicht gefunden hatte, waren Schlafmittel. Dabei interessierten die mich besonders: Man brauchte keinen Doktortitel in Chemie, um sie richtig anzuwenden, und sie waren jahreszeitenunabhängig verfügbar. Mein französischer Hausarzt würde mir wahrscheinlich ohne Nachfragen welche verschreiben. Seit meiner ersten Konsultation ging ich davon aus, dass ich ihn nur darum zu bitten brauchte, und er würde mir eine ganze Wagenladung mitgeben.
    Ich loggte mich aus, gab dem jungen Typ mit Baseballkappe hinter dem Tresen vier Euro und ging nach draußen. Es regnete und stürmte, der Wind trieb Blätter und weggeworfenes Verpackungsmaterial durch die Straße. Der Volvo stand nicht weit entfernt am Straßenrand. Ich stieg ein.
    Kurz blieb ich sitzen und sah dem Regen zu, der auf die Windschutzscheibe prasselte, den Tropfen, die zusammenflossen und in langen Streifen hinabliefen.
    Dann zog ich mein Handy aus der Tasche. Eher aus Gewohnheit als dass ich tatsächlich gewusst hätte, was ich Michel sagen oder ihn fragen wollte. Eigentlich war ich einfach nur wütend. Von Louis hatte ich ein paar furchtbare Schimpfwörter gelernt, und wenn ich Michel tatsächlich an die Strippe bekam, war die Wahrscheinlichkeit, dass ich sie ihm allesamt an den Kopf werfen würde, nicht gering.
    Die Tirade blieb ihm erspart. Die vollautomatische Stimme, die mir mitteilte, dass die von mir gewählte Nummer nicht erreichbar sei, war mir schon geradezu vertraut.
    Ich drehte den Zündschlüssel herum und fuhr los.
    Es war erst Viertel vor elf am Vormittag, und wahrscheinlich war Michel gar nicht zu Hause. Trotzdem fuhr ich hin und parkte genau gegenüber der Wohnanlage. Kaum war ich ausgestiegen, fuhr mir ein scharfer Wind in die Jacke und ins Haar. Ich überquerte die Straße, ging ins Haus und die Treppe hinauf. Auf dem Flur blieb ich vor seiner Zimmertür stehen und klopfte an, erst einmal, dann noch einmal.
    Stille.
    Ich lehnte mich an die Wand und blieb eine gute halbe Stunde wie gelähmt dort stehen. Was suchte ich hier überhaupt? Was für Flausen hatte ich mir in den Kopf gesetzt? Was hatte ich heute Morgen in dem Internetcafé gemacht?
    Noch gar nichts.
    Ich strich mir mit der Hand durch das nasse Haar und sehnte mich nach einer Zigarette. Vor acht Jahren

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